9C_551/2024 20.12.2024
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
9C_551/2024
Urteil vom 20. Dezember 2024
III. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Parrino, Präsident,
Bundesrichter Stadelmann, Beusch,
Gerichtsschreiber Williner.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Albert Leicht,
Beschwerdeführer,
gegen
IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 16. August 2024 (5V 23 204).
Sachverhalt:
A.
Der 1973 geborene A.________ meldete sich am 12. August 2009 wegen eines operativ behandelten Bandscheibenvorfalls bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Luzern (nachfolgend: IV-Stelle) veranlasste u.a. eine dreitägige Abklärung in der Beruflichen Abklärungsstelle B.________ (Bericht vom 21. Juni 2010). Sie erteilte Kostengutsprache für Arbeitsvermittlung (Mitteilung vom 15. September 2010), welche in der Folge abgeschlossen wurde, weil sich A.________ die Möglichkeit bot, beim bisherigen Arbeitgeber einer leidensangepassten Tätigkeit nachzugehen (Mitteilung vom 15. Juni 2011).
Am 11. März 2018 meldete sich A.________ unter Hinweis auf postoperative Rückenschmerzen erneut bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Beizug der Akten des Krankentaggeldversicherers stellte die IV-Stelle gestützt auf Beurteilungen des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) in Aussicht, einen Rentenanspruch zu verneinen (Vorbescheid vom 5. Februar 2019). Nachdem A.________ dagegen verschiedene Einwände erhoben hatte (inklusive dem Hinweis auf eine zwischenzeitlich erlittene Handfraktur), aktualisierte die IV-Stelle die medizinische Aktenlage. Gestützt auf eine weitere RAD-Beurteilung sprach sie A.________ nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren eine befristete ganze Rente für den Zeitraum vom 1. September bis zum 31. Dezember 2019 zu (Verfügung vom 25. Mai 2023).
B.
In teilweiser Gutheissung der dagegen von A.________ eingereichten Beschwerde hob das Kantonsgericht Luzern die Verfügung vom 25. Mai 2023 auf und sprach diesem für den Zeitraum vom 1. Juni bis zum 31. Dezember 2019 eine ganze Invalidenrente zu. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab.
C.
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit den Rechtsbegehren, es sei das angefochtene Urteil teilweise aufzuheben und ihm über den 31. Dezember 2019 hinaus eine unbefristete Invalidenrente zuzusprechen; eventualiter sei die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das kantonale Gericht zurückzuweisen. In formeller Hinsicht ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 145 V 57 E. 4.2).
2.
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht einen über den 31. Dezember 2019 hinausgehenden Anspruch des Beschwerdeführers auf eine Rente der Invalidenversicherung zu Recht verneint hat.
3.
In formeller Hinsicht rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Gehörsanspruchs mit der Begründung, das kantonale Gericht habe ihn zu keinem Zeitpunkt persönlich angehört.
Eine öffentliche Verhandlung gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK setzt im Sozialversicherungsprozess einen - im erstinstanzlichen Verfahren zu stellenden - Parteiantrag voraus, aus dem klar und unmissverständlich hervorgehen muss, dass eine konventionskonforme Verhandlung mit Publikums- und Presseanwesenheit durchgeführt werden soll (vgl. zum Ganzen BGE 134 I 331 E. 2.3.2; 122 V 47 E. 3a; SVR 2022 AHV Nr. 12 S. 30, 9C_260/2021 E. 3.2). Es ist weder ersichtlich noch geltend gemacht, dass der Beschwerdeführer im vorinstanzlichen Verfahren um eine Verhandlung gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK bzw. überhaupt um eine persönliche Anhörung ersucht hätte. Der Vollständigkeit halber sei ergänzt, dass Art. 6 Ziff. 1 EMRK ohnehin keinen Anspruch auf eine beantragte Beweismittelabnahme in Anwesenheit der Parteien einräumen würde (SVR 2009 IV Nr. 22 S. 62, 9C_599/2008 E. 1.2; Urteil 8C_72/2014 vom 28. April 2014 E. 4.2.2 mit weiteren Hinweisen). Eine Gehörsverletzung liegt offensichtlich nicht vor.
4.
Der Beschwerdeführer stört sich daran, dass die Vorinstanz im Rahmen der einleitenden Darlegung der Rechtsgrundlagen u.a. darauf hinwies, dass eine Erwerbsunfähigkeit nur vorliege, wenn sie aus objektiver Sicht nicht überwindbar sei. Diese Ausführungen zeigten, so der Beschwerdeführer weiter, dass das angefochtene Urteil auf der schon lange aufgegebenen Überwindbarkeitsvermutung und den vormals dazu entwickelten Kriterien des Bundesgerichts beruhe. Konkret rügt der Beschwerdeführer eine falsche Rechtsanwendung und eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes, weil die Vorinstanz die mit BGE 141 V 281 erfolgte Rechtsprechungsänderung ausser Acht gelassen und kein strukturiertes Beweisverfahren durchführt habe.
4.1. Das Bundesgericht änderte ab 2015 seine Rechtsprechung bezüglich der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit bei psychischen Störungen. So gab es mit BGE 141 V 281 die Überwindbarkeitsvermutung in Bezug auf somatoforme und vergleichbare psychosomatische Störungen auf und ersetzte das bisherige Regel/Ausnahme-Modell durch einen strukturierten normativen Prüfungsraster. Diese Rechtsprechung weitete das Bundesgericht in der Folge vorerst auch auf depressive Störungen (BGE 143 V 209) und schliesslich auf sämtliche psychischen Erkrankungen aus (BGE 143 V 418).
4.2. Art. 7 Abs. 2 ATSG lautet wie folgt: "Für die Beurteilung des Vorliegens einer Erwerbsunfähigkeit sind ausschliesslich die Folgen der gesundheitlichen Beeinträchtigung zu berücksichtigen. Eine Erwerbsunfähigkeit liegt zudem nur vor, wenn sie aus objektiver Sicht nicht überwindbar ist." Inwiefern die Vorinstanz nur schon mit dem Hinweis auf diese Gesetzesnorm Recht falsch angewendet oder den Untersuchungsgrundsatz verletzt haben soll, vermag der Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar darzulegen. Mit seinen pauschalen Einwänden verkennt er vielmehr, dass die Aufgabe der Überwindbarkeitsvermutung an den Regeln betreffend Zumutbarkeit nichts änderte, namentlich nicht am Erfordernis einer objektivierten Beurteilungsgrundlage (vgl. dazu BGE 141 V 281 E. 3.7).
4.3. Die Vorinstanz legte den medizinischen Sachverhalt im angefochtenen Urteil umfassend dar, worauf verwiesen wird (Art. 109 Abs. 3 BGG). Sie schloss, dem Beschwerdeführer sei von keiner Seite - insbesondere auch nicht von seinen Behandlern - eine Arbeitsunfähigkeit für angepasste Tätigkeiten attestiert worden. Inwiefern das kantonale Gericht im Lichte dieser vor Bundesgericht unbestritten gebliebenen Feststellungen ein strukturiertes Beweisverfahren hätte durchführen sollen, ist nicht ersichtlich. Damit kann auch offen bleiben, ob im vorliegenden Fall überhaupt Diagnosen gestellt wurden, welche grundsätzlich die Durchführung eines solchen Beweisverfahrens erforderten (BGE 143 V 418 E. 7.1).
4.4. Nicht näher einzugehen ist auf die beiden im bundesgerichtlichen Verfahren neu aufgelegten Berichte der Praxis C.________ vom 10. Januar 2024 und der Radiologie D.________ vom 11. April 2024. Der Beschwerdeführer behauptet gestützt darauf eine Verschlechterung seines Gesundheitszustands, ohne sich indessen ansatzweise mit der novenrechtlichen Beachtlichkeit der Berichte (BGE 133 III 393 E. 3) oder der Frage auseinanderzusetzen, inwiefern sich aus diesen eine relevante Veränderung des Gesundheitszustands ergeben sollte.
5.
Die Beschwerde ans Bundesgericht erweist sich als offensichtlich unbegründet und deshalb aussichtslos, weshalb sie im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG abzuweisen ist. Umständehalber wird auf die Erhebung von Gerichtskosten verzichtet (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG), womit das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung für das bundesgerichtliche Verfahren gegenstandslos wird. Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung ist abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im letztinstanzlichen Verfahren wird abgewiesen, soweit es nicht gegenstandslos ist.
3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 20. Dezember 2024
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Parrino
Der Gerichtsschreiber: Williner