6B_848/2024 24.02.2025
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
6B_848/2024
Urteil vom 24. Februar 2025
I. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
Bundesrichter von Felten,
Bundesrichterin Wohlhauser,
Gerichtsschreiberin Vonschallen.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Christof Egli,
Beschwerdeführer,
gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Güterstrasse 33, Postfach, 8010 Zürich,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Rückzug der Berufung infolge unentschuldigten Fernbleibens von der Berufungsverhandlung,
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 5. September 2024 (SB230470-O/U/hb).
Sachverhalt:
A.
Der Einzelrichter des Bezirksgerichts Zürich sprach A.________ am 3. April 2023 wegen Misswirtschaft schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je Fr. 60.--. A.________ erhob Berufung.
B.
Am 2. Februar 2024 lud das Obergericht des Kantons Zürich zu der auf den 21. August 2024 anberaumten Berufungsverhandlung vor. Am 20. August 2024 um 18.36 Uhr reichte der erbetene Verteidiger von A.________ via IncaMail ein Arztzeugnis vom 20. August 2024 ein, wonach sein Mandant vom 20. bis 25. August 2024 arbeits- und verhandlungsunfähig sei, und ersuchte um Abnahme der Ladung bzw. um Verschiebung der Verhandlung. Das Obergericht teilte dem Verteidiger am 21. August 2024 telefonisch mit, dass dem Abnahme- bzw. Verschiebungsgesuch nicht entsprochen werde und die Berufungsverhandlung nachmittags stattfinde. A.________ erschien nicht zur Berufungsverhandlung. Anwesend war sein Verteidiger, der sich mangels Instruktion nicht zur Sache äusserte. Das Obergericht gewährte A.________ eine Frist, um seine Säumnis rechtsgenüglich darzulegen und hierzu Belege beizubringen. A.________ machte davon Gebrauch und reichte mit Eingabe vom 2. September 2024 einen ambulanten Bericht des Spitals B.________ vom 20. August 2024 nach.
Das Obergericht schrieb das Berufungsverfahren mit Beschluss vom 5. September 2024 gestützt auf Art. 407 Abs. 1 lit. a StPO als durch Rückzug der Berufung erledigt ab.
C.
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, der Beschluss des Obergerichts vom 5. September 2024 sei aufzuheben und die Sache zur Durchführung der Berufungsverhandlung an dieses zurückzuweisen.
Das Gesuch um aufschiebende Wirkung wurde am 8. November 2024 präsidialiter abgewiesen.
Erwägungen:
1.
1.1. Der Beschwerdeführer rügt eine unrechtmässige Verfahrenserledigung durch die Vorinstanz. Diese habe das Berufungsverfahren rechtswidrig gestützt auf die Rückzugsfiktion nach Art. 407 Abs. 1 lit. a StPO als erledigt abgeschrieben.
1.2.
1.2.1. Hat die beschuldigte Person Berufung erhoben und bleibt sie der Berufungsverhandlung unentschuldigt fern und lässt sie sich (ausser in Fällen der amtlichen oder notwendigen Verteidigung) auch nicht vertreten, gilt die Berufung als zurückgezogen (Art. 407 Abs. 1 lit. a StPO; Urteile 6B_1359/2023 vom 23. September 2024 E. 1.1; 6B_1293/2018 vom 14. März 2019 E. 3.3.2; 6B_876/2013 vom 6. März 2014 E. 2.4.1; je mit Hinweisen). Ist die beschuldigte Person Berufungsklägerin und erscheint zur Berufungsverhandlung die Verteidigung, nicht aber die beschuldigte Person, ist die Berufungsverhandlung ohne die säumige beschuldigte Person durchzuführen; ein Abwesenheitsverfahren gemäss den Art. 366 ff. StPO findet nicht statt (Art. 407 Abs. 2 StPO e contrario; Urteile 7B_686/2023 vom 23. September 2024 E. 3.4; 7B_409/2023 vom 19. August 2024 E. 2.2.1; 6B_671/2021 vom 26. Oktober 2022 E. 5.4).
1.2.2. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen das Fernbleiben als unentschuldigt zu betrachten ist, ist in Anlehnung an Art. 94 StPO zu beurteilen (Urteil 6B_289/2013 vom 6. Mai 2014 E. 11.3 in fine für die Berufungsverhandlung; vgl. auch Urteile 7B_251/2022 vom 8. Februar 2024 E. 2.3.2 und 7B_8/2021 vom 25. August 2023 E. 5.3.2 jeweils mit Bezug auf die analoge Regelung von Art. 356 Abs. 4 StPO betreffend die erstinstanzliche Hauptverhandlung nach Einspracheerhebung). Gemäss dieser Bestimmung ist eine versäumte Frist oder ein versäumter Termin wiederherzustellen, wenn die betroffene Partei glaubhaft macht, dass sie an der Säumnis kein Verschulden trifft und ihr andernfalls ein erheblicher und unersetzlicher Rechtsverlust erwachsen würde (Art. 94 Abs. 1 i.V.m. Art. 94 Abs. 5 StPO).
Unverschuldet ist die Säumnis nur, wenn sie durch einen Umstand eingetreten ist, der nach den Regeln vernünftiger Interessenwahrung auch von einer sorgsamen Person nicht befürchtet werden muss oder dessen Abwendung übermässige Anforderungen gestellt hätte. Allgemein wird vorausgesetzt, dass es in der konkreten Situation unmöglich war, die Frist bzw. den Termin zu wahren oder jemanden damit zu betrauen (BGE 143 I 284 E. 1.3; Urteile 6B_210/2024 vom 2. Juli 2024 E. 2.4; 7B_251/2022 vom 8. Februar 2024 E. 2.3.2; je mit Hinweisen). Ein Krankheitszustand bildet, wenn und solange er jegliches auf die Fristwahrung gerichtetes Handeln verunmöglicht, ein unverschuldetes Hindernis. Dass es sich so verhält, muss mit einschlägigen Arztzeugnissen belegt werden, wobei die blosse Bestätigung eines Krankheitszustandes, grundsätzlich selbst bei einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit zur Anerkennung eines Hindernisses nicht genügt (Urteil 6B_210/2024 vom 2. Juli 2024 E. 2.4 mit Hinweisen). Dies hat auch bei versäumten Terminen zu gelten (Urteil 7B_251/2022 vom 8. Februar 2024 E. 2.3.2 mit Hinweis).
Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache dann, wenn für ihr Vorhandensein aufgrund objektiver Anhaltspunkte eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, selbst wenn das Gericht noch mit der Möglichkeit rechnet, dass sie sich nicht verwirklicht haben könnte (vgl. BGE 144 II 65 E. 4.2.2; 142 II 49 E. 6.2; 140 III 610 E. 4.1; je mit Hinweisen). Blosse Behauptungen reichen nicht aus. Welche tatsächlichen Umstände der Beschwerdeführer zu seiner Entschuldigung glaubhaft gemacht hat, betrifft die Beweiswürdigung und ist Tatfrage. Ob die glaubhaft gemachten Tatsachen den Schluss auf ein unverschuldetes Säumnis zulassen oder nicht, ist hingegen eine vom Bundesgericht frei überprüfbare Rechtsfrage (Urteil 7B_251/2022 vom 8. Februar 2024 E. 2.3.2 mit Hinweisen).
1.2.3. Nach Art. 10 Abs. 2 StPO würdigt das Gericht die Beweise frei nach seiner aus dem gesamten Verfahren gewonnenen Überzeugung. Vor Bundesgericht kann die aus der Beweiswürdigung gewonnene vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 150 IV 360 E. 3.2.1; 146 IV 88 E. 1.3.1; 145 IV 154 E. 1.1; 143 I 310 E. 2.2; je mit Hinweisen). Willkür liegt nach ständiger Rechtsprechung nur vor, wenn die vorinstanzliche Beweiswürdigung schlechterdings unhaltbar ist, das heisst, wenn das Gericht in seinem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen oder auf einem offenkundigen Fehler beruhen. Dass eine andere Lösung ebenfalls möglich erscheint oder gar vorzuziehen wäre, genügt nicht (BGE 150 I 50 E. 3.3.1; 148 IV 356 E. 2.1; 39 E. 2.3.5; 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 88 E. 1.3.1; je mit Hinweisen). Erforderlich ist, dass der Entscheid nicht nur in der Begründung, sondern auch im Ergebnis willkürlich ist (BGE 148 IV 409 E. 2.2; 146 IV 88 E. 1.3.1; 141 IV 305 E. 1.2).
Die Rüge der Verletzung von Grundrechten (einschliesslich Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung) muss in der Beschwerde explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Demnach ist anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids klar und detailliert aufzuzeigen, inwiefern die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung willkürlich sein soll (BGE 141 IV 369 E. 6.3). Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (vgl. Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 150 IV 360 E. 3.2.1; 150 I 50 E. 3.3.1; 148 IV 409 E. 2.2; 147 IV 73 E. 4.1.2; je mit Hinweisen).
1.3. Die Vorinstanz kommt gestützt auf den vom Beschwerdeführer nachgereichten ambulanten Bericht des Spitals B.________ vom 20. August 2024 zum Schluss, es sei nicht nachvollziehbar, inwiefern es dem Beschwerdeführer aus medizinischen Gründen nicht möglich gewesen sei, am 21. August 2024 nachmittags, wie vorgeladen, an der Berufungsverhandlung teilzunehmen. Die behandelnden Ärzte des Spitals B.________ hätten ihm weder eine Arbeits- oder Verhandlungsunfähigkeit attestiert, noch Ruhe verordnet. Somit sei es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine Verhandlungsunfähigkeit glaubhaft darzutun, was ihm oblegen hätte. Laut Vorinstanz ist die im Arztzeugnis durch den Kardiologen Dr. med. C.________ gleichentags zuhanden des Arbeitgebers attestierte Arbeits- und Verhandlungsfähigkeit mit dem Bericht des Spitals B.________ nicht vereinbar. Gemäss dem letzteren Bericht habe der Beschwerdeführer am Vortag ein intensives Training absolviert und dann einen krampfartigen Schmerz über dem Sternum verspürt, der ca. zehn Minuten angedauert habe, aber spontan verschwunden sei. Die Beschwerden seien am ehesten muskuloskelettal bedingt nach intensivem Training am Vortag zu interpretieren. Er sei nach unauffälliger Überwachung und Mitbeurteilung durch die diensthabende Kardiologin gleichentags in "regelrechtem Allgemeinzustand" nach Hause entlassen worden (vgl. angefochtener Beschluss E. 6 S. 3; E. 8.2-8.3 S. 5 f.).
1.4. Der Beschwerdeführer vermag mit seiner Kritik, der Bericht des Spitals B.________ habe das Arztzeugnis des Kardiologen nicht hinfällig werden lassen und dieses habe nach wie vor Gültigkeit gehabt, nicht darzulegen, inwiefern die Vorinstanz bei der Beurteilung der Verhandlungsfähigkeit in Willkür verfallen wäre oder anderweitig Bundesrecht verletzt hätte. Ein Arztzeugnis bildet keinen absoluten Beweis, sondern unterliegt - wie alle Beweismittel - der freien richterlichen Beweiswürdigung. Wie das auch die Vorinstanz hervorhebt, ist das Gericht folglich nicht an das vom Beschwerdeführer eingereichte Arztzeugnis gebunden. Vielmehr hat es dieses frei nach seiner aus dem gesamten Verfahren gewonnenen Überzeugung zu würdigen, sowie zu entscheiden, ob und in welchem Masse es dieses als beweiskräftig erachtet (vgl. hierzu Urteil 6B_11/2024 vom 17. April 2024 E. 2.3.2 mit Hinweis). Gründe, die diese Beweiswürdigung der Vorinstanz als haltlos erscheinen lassen würden, zeigt der Beschwerdeführer nicht auf. Er macht namentlich nicht geltend, da ss sein behandelnder Kardiologe umfassendere Untersuchungen als im Spital durchgeführt hätte und letztlich gestützt auf die eigenen Untersuchungen, mithin aufgrund besserer Erkenntnisse, zu einer anderen Diagnose bzw. zu einer abweichenden Beurteilung der Verhandlungsfähigkeit gelangt wäre. Auf die Widersprüchlichkeit zwischen Arztzeugnis und Spitalbericht geht der Beschwerdeführer vielmehr gar nicht ein, sondern er verneint diese ohne jede Begründung.
Angesichts dessen vermag er auch nicht darzutun, dass die Vorinstanz seinen sinngemässen Beweisantrag auf "Nachfrage" beim Kardiologen willkürlicherweise abwies. Er legt nicht dar, welche zusätzlichen Informationen durch seinen Kardiologen hätten erhältlich gemacht werden können. Weshalb die Vorinstanz nicht auf die Feststellung im Spitalbericht, der Beschwerdeführer sei am 20. August 2024 "in regelrechtem Allgemeinzustand" entlassen worden, hätte abstellen und gestützt darauf auf seine Verhandlungsfähigkeit am Folgetag hätte schliessen dürfen, ist damit weder dargetan noch erkennbar. Seine diesbezüglichen Vorbringen sind unbegründet, soweit sie überhaupt die formellen Begründungsanforderungen erfüllen und auf diese eingetreten werden kann (Art. 42 Abs. 2, Art. 106 Abs. 2 BGG und E. 1.2.3 oben).
1.5. An dieser Beurteilung vermag auch der vom Beschwerdeführer angeführte Umstand, dass er im Herbst erneut notfallmässig ins Spital eingeliefert werden musste, nichts zu ändern. Einerseits handelt es sich bei dieser Tatsache und dem hierzu eingereichten Austrittsbericht vom 24. September 2024 um echte Noven, die für das bundesgerichtliche Verfahren unbeachtlich sind (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 148 V 174 E. 2.2; 143 V 19 E. 1.2; je mit Hinweisen). Andererseits lässt die erneute notfallmässige Behandlung einen Monat später keinen Rückschluss auf die Verhandlungsfähigkeit zum massgeblichen Zeitpunkt der Berufungsverhandlung zu (vgl. zur Frage des Zeitpunkts auch: Urteil 7B_251/2022 vom 8. Februar E. 2.4).
1.6. Indem einzig der erbetene Verteidiger an der Berufungsverhandlung teilnahm, dort mangels Instruktion jedoch nicht plädierte, war der Beschwerdeführer nicht vertreten (vgl. hierzu Urteil 6B_1359/2023 vom 23. September 2024 E. 1.1 mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer moniert, er habe infolge des Notfalls seinen Verteidiger nicht instruieren können. Dieser habe nicht ohne Rücksprache davon ausgehen dürfen, dass an den bisherigen Anträgen und Begründungen festgehalten werde. Infolge der willkürfreien Feststellung der Vorinstanz, wonach der Beschwerdeführer für den Tag der Berufungsverhandlung keine Verhandlungsunfähigkeit hat nachweisen können, dringt auch seine Kritik in Bezug auf seine Vertretung nicht durch.
1.7. Gestützt auf ihre Feststellungen zum Sachverhalt durfte die Vorinstanz davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer aus selbstverschuldeten Gründen nicht zur Berufungsverhandlung erschien und sich auch nicht vertreten liess. Sie verfiel nicht in Willkür, wenn sie die Rückzugsfiktion von Art. 407 Abs. 1 lit. a StPO anwandte. Die Kritik betreffend die Verhandlungsfähigkeit ist folglich unbegründet, sofern auf sie überhaupt eingetreten werden kann. Somit erübrigt sich die von der Vorinstanz und vom Beschwerdeführer ausserdem thematisierte Frage nach der Rechtzeitigkeit des gestellten Verschiebungsgesuchs.
2.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit auf sie eingetreten werden kann. Die Gerichtskosten sind ausgangsgemäss dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 24. Februar 2025
Im Namen der I. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
Die Gerichtsschreiberin: Vonschallen