1C_69/2025 04.03.2025
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
1C_69/2025
Urteil vom 4. März 2025
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Haag, Präsident,
Bundesrichter Müller, Bundesrichter Merz,
Gerichtsschreiber Dold.
Verfahrensbeteiligte
Kantonsrat Z ürich, Geschäftsleitung, Haus zum Rechberg, Hirschengraben 40, 8001 Zürich,
Beschwerdeführer,
gegen
Isabel Garcia,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Lukas Rich,
1. Benjamin Gautschi,
2. Andrin Gautschi,
3. Samira Eilinger,
4. Hans Egli,
5. Benjamin Krähenmann,
6. Isabel Bartal,
alle vertreten durch Herr Benjamin Gautschi.
Gegenstand
Erwahrung der Ergebnisse der Erneuerungswahl der Mitglieder des Kantonsrats vom 12. Februar 2023; Akteneinsicht,
Beschwerde gegen die Verfügung des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 4. Abteilung, vom 3. Januar 2025 (VB.2024.00351).
Sachverhalt:
A.
Am 12. Februar 2023 fand im Kanton Zürich die Erneuerungswahl des Kantonsrats (Kantonsparlament) für die Amtsdauer 2023 bis 2027 statt. Isabel Garcia kandidierte auf der Liste 04 der Grünliberalen Partei (GLP) und errang eines der 12 Kantonsratsmandate, die dem Wahlkreis II zugeteilt worden waren. Die Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich liess die Ergebnisse der Wahl im kantonalen Amtsblatt vom 17. Februar 2023 mit Rechtsmittelbelehrung veröffentlichen. Am 22. Februar 2023 lief die fünftägige Rechtsmittelfrist unbenützt ab. Am 23. Februar 2023 wurde aus den Medien bekannt, dass Isabel Garcia ihre Partei gleichentags über ihren Übertritt zur Partei FDP.Die Liberalen (FDP) informiert hatte.
Am 8. Mai 2023 fand die konstituierende Sitzung des Kantonsrats statt. Er beschloss mit 107 zu 52 Stimmen (bei 11 Enthaltungen), die Ergebnisse der Erneuerungswahl zu erwahren. Damit folgte er dem Antrag des Regierungsrats des Kantons Zürich und der Geschäftsleitung des Kantonsrats, die Isabel Garcia am 4. Mai 2023 angehört hatte. Der Erwahrungsbeschluss wurde am 12. Mai 2023 im Amtsblatt publiziert. Ebenfalls an seiner Sitzung vom 8. Mai 2023 besetzte der Kantonsrat seine Kommissionen neu. Isabel Garcia wurde in die Kommission für Staat und Gemeinden gewählt.
B.
Am 14. Mai 2023 erhoben Benjamin Gautschi, Andrin Gautschi, Samira Eilinger, Hans Egli, Benjamin Krähenmann und Isabel Bartal gegen den Erwahrungsbeschluss und den Beschluss betreffend die Wahl der Kommissionen Beschwerde an das Bundesgericht. Mit Urteil 1C_223/2023 vom 22. Mai 2024 kam das Bundesgericht im Wesentlichen zum Schluss, dass auf die Beschwerde nicht einzutreten sei, soweit sie sich gegen den Beschluss betreffend die Wahl der Kommissionen richtete, sie im Übrigen dagegen gutzuheissen sei, soweit darauf einzutreten sei. Es überwies die Sache im Sinne der Erwägungen an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich. In den Erwägungen führte es unter anderem aus, dass der Erwahrungsbeschluss zwar kein zulässiges Anfechtungsobjekt darstelle, den Beschwerdeführenden jedoch gegen das Wahlergebnis auch noch nach Ablauf der erwähnten fünftägigen Rechtsmittelfrist die Möglichkeit eines Stimmrechtsrekurses an den Kantonsrat und in der Folge diejenige einer Beschwerde an das Verwaltungsgericht offengestanden hätte. Inhaltlich wies das Bundesgericht darauf hin, dass die Wählerschaft in schwerer Weise irreführe, wer für den Kantonsrat kandidiere und den Stimmberechtigten die eigene, "wahre" Listen- bzw. Parteizugehörigkeit vorenthalte. Da der Vorwurf, Isabel Garcia habe sich bereits vor ihrer Wahl zum Parteiwechsel entschieden und die Wahlberechtigten darüber im Dunkeln gelassen, bis anhin nicht gerichtlich untersucht worden war, habe das Verwaltungsgericht dies nachzuholen.
C.
Umgehend nach Erhalt des begründeten Urteils des Bundesgerichts und der Akten lud das Verwaltungsgericht die Verfahrensbeteiligten mit Präsidialverfügung vom 5. November 2024 zur Vernehmlassung ein und forderte sie auf, allfällige Beweismittel zu bezeichnen. Der Kantonsrat schloss auf Abweisung der Beschwerde. Isabel Garcia verwies auf das Protokoll ihrer Anhörung durch den Kantonsrat vom 4. Mai 2023, das von der Geschäftsleitung des Kantonsrats zu edieren sei, und stellte sich bei Bedarf für eine Befragung durch das Verwaltungsgericht zur Verfügung. Benjamin Gautschi, Andrin Gautschi, Samira Eilinger, Hans Egli, Benjamin Krähenmann und Isabel Bartal stellten ein Gesuch um Erteilung der aufschiebenden Wirkung und verlangten, es sei lsabel Garcia vorläufig die Ausübung des Kantonsratsmandats zu verbieten; sie bezeichneten zudem verschiedene Beweismittel, unter anderem die Befragung Isabel Garcias und weiterer Personen. Der Kantonsrat erwiderte, dass das Protokoll der Anhörung vom 4. Mai 2023 aus schutzwürdigen öffentlichen und privaten Interessen nicht zu Beweiszwecken beigezogen werden könne.
Mit Präsidialverfügung vom 3. Januar 2025 entzog das Verwaltungsgericht der Beschwerde die aufschiebende Wirkung (Dispositiv-Ziffer 1) und forderte den Kantonsrat auf, ihm innert zehn Tagen ab Erhalt dieser Verfügung das Protokoll seiner Geschäftsleitung vom 4. Mai 2023 zur Anhörung Isabel Garcias einzureichen (Dispositiv-Ziffer 2).
Mit Schreiben vom 20. Januar 2025 stellte der Kantonsrat ein Gesuch um Wiedererwägung betreffend die Dispositiv-Ziffer 2 der Präsidialverfügung vom 3. Januar 2025 (Edition des Anhörungsprotokolls), auf welches das Verwaltungsgericht mit Präsidialverfügung vom 23. Januar 2025 allerdings nicht eintrat.
D.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht vom 3. Februar 2025 beantragt der Kantonsrat, Dispositiv-Ziffer 2 der Präsidialverfügung des Verwaltungsgerichts vom 3. Januar 2025 sei aufzuheben und das Verwaltungsgericht anzuweisen, dass das Protokoll der Geschäftsleitung vom 4. Mai 2023 nicht beigezogen werden dürfe. Eventualiter sei die Geschäftsleitung des Kantonsrates zu verpflichten, dem Verwaltungsgericht nur die Aussagen von lsabel Garcia aus dem Protokoll herauszugeben.
Das Verwaltungsgericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Die Beschwerdegegnerin beantragt die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen:
1.
1.1. Gegen den angefochtenen Entscheid ist grundsätzlich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 82 lit. c BGG zulässig (zur Publ. vorgesehenes Urteil 1C_223/2023 vom 22. Mai 2024).
1.2. Das Beschwerderecht ist für die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten in Art. 89 BGG geregelt. Nach Art. 42 Abs. 1 BGG müssen Beschwerdeführende die Tatsachen darlegen, aus denen sich ihre Beschwerdeberechtigung ergibt, soweit diese nicht offensichtlich gegeben ist (BGE 141 IV 289 E. 1.3 mit Hinweisen).
Eine Bejahung des Beschwerderechts nach Art. 89 Abs. 2 oder 3 BGG fällt hier nicht in Betracht und wird vom Kantonsrat bzw. dessen Geschäftsleitung auch nicht geltend gemacht. Der Beschwerdeführer ist vielmehr der Auffassung, nach Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt zu sein. In den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fallen jedoch einzig Rechtssubjekte, wozu unter anderem Kantone oder Gemeinden als öffentlich-rechtliche Körperschaften gehören, nicht aber Behörden oder Verwaltungszweige (BGE 141 I 253 E. 3.2; Urteile 1C_66/2024 vom 31. Oktober 2024 E. 1.3.4; 1C_53/2024 vom 24. Juli 2024 E. 1.2; je mit Hinweisen). Auf die Beschwerde kann somit nur eingetreten werden, wenn man davon ausgeht, dass der Kantonsrat als Organ des Kantons Zürich handelt.
Die Befugnis, Gemeinwesen (oder andere öffentlich-rechtliche juristische Personen) prozessual zu vertreten, steht praxisgemäss, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist, nur der obersten vollziehenden Behörde zu (BGE 134 II 45 E. 2.2.3; Urteil 1C_66/2024 vom 31. Oktober 2024 E. 1.3.4). Sie wurde vom Bundesgericht jedoch gelegentlich auch schon einem Kantonsparlament zuerkannt. Dies tat es in einem Fall stillschweigend (Urteil 1C_36/2021 vom 3. Juni 2021 E. 1.2), in einem anderen gestützt auf allgemein gehaltene Bestimmungen in der Kantonsverfassung, die das Parlament als oberste Aufsichtsbehörde und als für die Konzessionserteilung zuständiges Organ bezeichneten (Urteil 2C_812/2011 vom 18. Januar 2012 E. 1.2 betreffend einen Fall, in dem das Verwaltungsgericht eine vom Kantonsparlament erteilte Konzession teilweise aufgehoben hatte). Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung kann der Kantonsrat Zürich als vertretungsberechtigt angesehen werden, da es um eine in seinen Kompetenzbereich fallende Streitigkeit über die Vertraulichkeit seiner Protokolle geht (Art. 50 ff. KV/ZH; §§ 34 ff. des Kantonsratsgesetzes des Kantons Zürich vom 25. März 2019 [KRG; LS 171.1]).
1.3. Ist somit davon auszugehen, dass entgegen den Angaben in der Beschwerdeschrift der Kantonsrat nicht in eigenem Namen, sondern im Namen des Kantons Beschwerde führt, bleibt zu beurteilen, ob Letzterer hier die Voraussetzungen von Art. 89 Abs. 1 BGG erfüllt. Gemäss dieser Bestimmung ist beschwerdeberechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (lit. a), durch den angefochtenen Entscheid oder Erlass besonders berührt ist (lit. b) und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat (lit. c). Diese Regelung ist in erster Linie auf Privatpersonen zugeschnitten, doch kann sich auch das Gemeinwesen darauf stützen, falls es durch einen angefochtenen Entscheid gleich oder ähnlich wie eine Privatperson oder aber in spezifischer, schutzwürdiger Weise in der Wahrnehmung einer hoheitlichen Aufgabe betroffen wird, namentlich wenn einem Entscheid präjudizielle Bedeutung für die öffentliche Aufgabenerfüllung zukommt. Die Beschwerdebefugnis zur Durchsetzung hoheitlicher Anliegen setzt eine erhebliche Betroffenheit in wichtigen öffentlichen Interessen voraus. Das allgemeine Interesse an der richtigen Rechtsanwendung begründet keine Beschwerdebefugnis im Sinne dieser Regelung. Gestützt auf die allgemeine Legitimationsklausel von Art. 89 Abs. 1 BGG sind Gemeinwesen nur restriktiv zur Beschwerdeführung zuzulassen (BGE 147 II 227 E. 2.3.2; 138 II 506 E. 2.1.1; Urteil 2C_557/2023 vom 1. Mai 2024 E. 3.5; je mit Hinweisen).
1.4. Die hier umstrittene Edition des Protokolls der Anhörung der Beschwerdegegnerin durch die Geschäftsleitung des Kantonsrats betrifft eine hoheitliche Tätigkeit. Der Kanton Zürich ist durch die angefochtene Verfügung deshalb nicht wie eine Privatperson betroffen.
1.5. Hinsichtlich der Beschwerdebefugnis zur Durchsetzung hoheitlicher Anliegen geht aus der Beschwerde hervor, dass die Geschäftsleitung des Kantonsrats das Protokoll der Anhörung der Beschwerdegegnerin dem Kommissionsgeheimnis unterstellte (§ 36 KRG). Der Beschwerdeführer legt dar, das Kommissionsgeheimnis solle Kantonsrats- und Regierungsratsmitgliedern, Personen der Verwaltung sowie Dritten ermöglichen, im Rahmen der Oberaufsicht und bei der Verhandlung von Personalentscheiden (z.B. Disziplinarmassnahmen, Ermächtigungsgesuchen oder Wahlen in die Gerichte) offen sprechen zu können. Müssten diese Personen, seien es angehörte Personen oder Kandidierende für Ämter, jederzeit damit rechnen, dass ihre Voten in einem gerichtlichen Verfahren beigezogen werden könnten bzw. ganz oder in Teilen an die Öffentlichkeit gelangen könnten, bestünde die Gefahr, dass sie Informationen zurückhalten würden. Demzufolge wären das ordnungsgemässe Funktionieren der parlamentarischen Aufsicht und die vertrauliche Verhandlung von Personalentscheiden politischer Natur nicht mehr vollumfänglich gewährleistet. Auch könnte der Kantonsrat seine verfassungsmässigen Aufgaben (Oberaufsicht, Wahlen, Personalentscheide etc.) nur noch eingeschränkt wahrnehmen, wenn er jederzeit damit rechnen müsste, dass Dritte, sofern sie mit der Tätigkeit des Kantonsrates im Einzelfall nicht einverstanden seien, auf gerichtlichem Wege die Protokolle herausverlangen könnten. Damit würde seine Tätigkeit nicht nur erschwert und unnötig verzögert, sondern auch die Rechtssicherheit der Beschlüsse und Wahlen gefährdet.
1.6. Mit diesen Ausführungen unterstreicht der Kantonsrat die präjudizielle Bedeutung des angefochtenen Entscheids für die öffentliche Aufgabenerfüllung. Er tut dies allerdings auf abstrakte Weise und vernachlässigt dabei die konkreten Umstände des vorliegenden Falls. Aus den vorinstanzlichen Feststellungen und den Akten geht hervor, dass die Beschwerdegegnerin selbst die Edition des Protokolls ihrer Anhörung durch die Geschäftsleitung des Kantonsrats beantragte. Das einzige offensichtliche Interesse, das die Aufgabenerfüllung des Kantonsrats in der von ihm beschriebenen Art beeinträchtigen könnte, ist damit dahingefallen. Denn es ist nicht ersichtlich, weshalb sich Personen an Anhörungen vor Organen des Kantonsrats aus Angst vor einer Verwendung ihrer Aussagen in späteren Gerichtsverfahren nicht mehr offen äussern sollten, wenn sie selbst einer solchen Verwendung zustimmen oder diese gar beantragen. Weshalb die Aufgabenerfüllung des Kantonsrats in anderer Hinsicht erheblich tangiert sein sollte, ist ebenfalls nicht ersichtlich und wird vom Beschwerdeführer auch nicht dargetan.
2.
Aus diesen Gründen ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Das Gesuch des Beschwerdeführers um aufschiebende Wirkung wird damit gegenstandslos.
Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Zürich hat der Beschwerdegegnerin eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Der Beschwerdeführer hat der Beschwerdegegnerin eine Parteientschädigung von Fr. 3'000.-- zu bezahlen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, Benjamin Gautschi, Andrin Gautschi, Samira Eilinger, Hans Egli, Benjamin Krähenmann, Isabel Bartal und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 4. Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 4. März 2025
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Haag
Der Gerichtsschreiber: Dold