4A_623/2024 19.02.2025
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
4A_623/2024
Urteil vom 19. Februar 2025
I. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Hurni, Präsident,
Bundesrichterin Kiss,
Bundesrichter Denys, Rüedi,
Bundesrichterin May Canellas,
Gerichtsschreiber Kistler.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Davide Loss, Beschwerdeführer,
gegen
Obergericht des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, Hirschengraben 13/15, 8001 Zürich,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Unentgeltliche Rechtspflege; Anfechtungsobliegenheit,
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, vom 21. Oktober 2024 (PP240042).
Sachverhalt:
A.
Die B.________ AG (Beklagte) mit Sitz in U.________ gewährte A.________ (Beschwerdeführer, Kläger) ein Darlehen in der Höhe von Fr. 37'500.--. Den vereinbarten Ratenzahlungen kam der Kläger ab August 2020 nicht mehr nach, weshalb die Beklagte den ausstehenden Betrag von Fr. 29'833.43 zuzüglich Zins zu 5 % seit 22. Mai 2021 in Betreibung setzte.
Mit Urteil des Einzelgerichts Audienz des Bezirksgerichts Zürich vom 26. Januar 2022 wurde der Beklagten für Fr. 25'031.40 nebst Zins zu 5 % seit 23. Mai 2021 die provisorische Rechtsöffnung erteilt.
B.
B.a. Daraufhin erhob der Kläger mit Eingabe vom 23. Februar 2022 beim Bezirksgericht Zürich die Aberkennungsklage.
Mit Verfügung vom 12. August 2022 wies das Bezirksgericht das Gesuch des Klägers um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege infolge Aussichtslosigkeit seiner Klage ab. Dagegen erhob der Kläger keine separate Beschwerde nach Art. 121 ZPO.
Mit Urteil vom 8. April 2024 wies das Bezirksgericht die Aberkennungsklage kostenfällig ab.
B.b. Dagegen erhob der Kläger Berufung und Beschwerde an das Obergericht des Kantons Zürich unter anderem mit dem Beschwerdeantrag, es sei die Verfügung vom 12. August 2022 aufzuheben und es sei ihm für das erstinstanzliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
Mit Beschluss vom 21. Oktober 2024 trat das Obergericht auf die Beschwerde mit der Begründung nicht ein, diese sei verspätet und die Verfügung vom 12. August 2022 könne auch mit dem Endentscheid nicht mehr angefochten werden.
C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen, eventualiter subsidiärer Verfassungsbeschwerde, beantragt der Beschwerdeführer dem Bundesgericht im Wesentlichen, es sei der Beschluss des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Mit Verfügung vom 21. Januar 2025 wurde dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.
Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.
Erwägungen:
1.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein Rechtsmittel zulässig ist (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 150 III 248 E. 1; 149 III 277 E. 3.1 m.H.).
1.1. Die Beschwerde richtet sich gegen einen Endentscheid (Art. 90 BGG) in Zivilsachen (Art. 72 Abs. 1 BGG) einer letzten kantonalen Instanz (Art. 75 Abs. 1 BGG), die als oberes Gericht auf ein Rechtsmittel hin geurteilt hat (Art. 75 Abs. 2 BGG). Die Beschwerdefrist ist eingehalten (Art. 100 Abs. 1 BGG).
1.2. Die Beschwerde hat ein Rechtsbegehren zu enthalten (Art. 42 Abs. 1 BGG). Da die Beschwerde in Zivilsachen ein reformatorisches Rechtsmittel ist (Art. 107 Abs. 2 BGG), ist grundsätzlich ein materieller Antrag erforderlich. Anträge auf Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zu neuer Entscheidung oder blosse Aufhebungsanträge genügen nicht und machen die Beschwerde unzulässig (BGE 133 III 489 E. 3.1). Hat die Vorinstanz aber einen Nichteintretensentscheid gefällt und die Sache materiell nicht beurteilt, kann das Bundesgericht im Falle der Gutheissung der Beschwerde nicht reformatorisch entscheiden, sondern müsste die Angelegenheit zum Entscheid in der Sache an die Vorinstanz zurückweisen. In solchen Fällen ist ein materieller Antrag nicht zulässig (BGE 138 III 46 E. 1.2; Urteile 5A_88/2017 vom 25. September 2017 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 143 III 473; 5A_251/2017 vom 22. November 2017 E. 2). Der Rückweisungsantrag des Beschwerdeführers genügt daher den formellen Anforderungen.
1.3. Der Streitwert erreicht die Streitwertgrenze für eine Beschwerde in Zivilsachen gemäss Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG nicht. Diese ist daher nur zulässig, wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt (Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG).
1.3.1. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt vor, wenn ein allgemeines und dringendes Interesse besteht, dass eine umstrittene Frage höchstrichterlich geklärt wird, um eine einheitliche Anwendung und Auslegung des Bundesrechts herbeizuführen und damit eine erhebliche Rechtsunsicherheit auszuräumen (BGE 144 III 164 E. 1; 141 III 159 E. 1.2; 139 III 209 E. 1.2; je mit weiteren Hinweisen). Ist eine Beschwerde nur unter der Voraussetzung zulässig, dass sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, so ist in der Beschwerde auszuführen, warum diese Voraussetzung erfüllt ist (Art. 42 Abs. 2 Satz 2 BGG). Der Begriff der Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist restriktiv auszulegen. Soweit es bei der aufgeworfenen Frage lediglich um die Anwendung von Grundsätzen der Rechtsprechung auf einen konkreten Fall geht, handelt es sich nicht um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (BGE 140 III 501 E. 1.3; 135 III 1 E. 1.3 mit weiteren Hinweisen).
1.3.2. Gemäss Art. 121 ZPO kann die Abweisung eines Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege mit Beschwerde beim oberen kantonalen Gericht angefochten werden. Es handelt sich hier um den Fall einer prozessleitenden Verfügung, die gemäss Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO voraussetzungslos, d.h. auch ohne Drohung eines nicht leicht wiedergutzumachenden Nachteils, mit Beschwerde angefochten werden kann.
1.3.3. Der Beschwerdeführer hat die Abweisung der unentgeltlichen Rechtspflege, die ihm mit prozessleitender Verfügung des Bezirksgerichts vom 12. August 2022 eröffnet worden ist, nicht separat innert der Beschwerdefrist von 10 Tagen (Art. 321 Abs. 2 ZPO) angefochten. Es stellt sich - wie der Beschwerdeführer zutreffend aufzeigt - die vom Bundesgericht bislang noch nicht entschiedene Frage, ob die Abweisung der unentgeltlichen Rechtspflege auch noch nachträglich mit dem Endentscheid der ersten Instanz angefochten werden kann. Dabei handelt es sich zwar durchaus um eine wichtige zivilprozessuale Frage, an deren Beantwortung ein gewisses Interesse besteht, damit eine entsprechende Rechtsunsicherheit ausgeräumt werden kann. Dennoch kann nicht von einer Rechtsfrage von geradezu grundsätzlicher Bedeutung gesprochen werden.
Auf die Beschwerde in Zivilsachen ist mithin nicht einzutreten und die Eingabe des Beschwerdeführers stattdessen als subsidiäre Verfassungsbeschwerde zu behandeln (Art. 113 BGG).
1.4. Mit der subsidiären Verfassungsbeschwerde kann ausschliesslich die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten gerügt werden (Art. 116 BGG). Insofern gilt eine qualifizierte Rügepflicht. Die Verletzung von Grundrechten prüft das Bundesgericht nicht von Amtes wegen, sondern nur insofern als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 117 BGG i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG). Dies bedeutet, dass klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen ist, inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein sollen (BGE 135 III 232 E. 1.2; 134 I 83 E. 3.2; je mit Hinweisen).
2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz sei in verfassungswidriger Weise nicht auf seine Beschwerde eingetreten. Zwar habe er die Verfügung vom 12. August 2022 in der Tat nicht separat angefochten; es stehe ihm aber offen, diese zusammen mit dem Endentscheid noch anzufechten. Indem die Vorinstanz dennoch auf seine Beschwerde nicht eingetreten sei, habe sie diverse aus Art. 29 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 EMRK fliessende verfassungsmässige Rechte verletzt.
2.1. Für die Beschwerdefähigkeit der sogenannten anderen erstinstanzlichen Entscheide und prozessleitenden Verfügungen sieht das Gesetz zwei Unterkategorien vor: Soweit das Gesetz die Beschwerde ausdrücklich erwähnt, ist sie nach Art. 319 lit. b Ziff. 1 ZPO zulässig, während ohne gesetzliche Nennung die Beschwerdefähigkeit nur bei drohendem, nicht leicht wiedergutzumachendem Nachteil gegeben ist (Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO). Die anderen erstinstanzlichen Entscheide und prozessleitenden Verfügungen der ersten Kategorie werden als "qualifiziert", diejenigen der zweiten als "einfach" oder "gewöhnlich" bezeichnet (Sutter-Somm/Seiler, in: Handkommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 2021, N. 10 zu Art. 319 ZPO; Danielle Schwendener, in: Brunner/Schwander/Vischer [Hrsg.], Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Kommentar, 3. Aufl. 2025, N. 24 und N. 40 zu Art. 319 ZPO).
2.2. Unbestrittenermassen können die qualifizierten anderen erstinstanzlichen Entscheide und prozessleitenden Verfügungen kraft expliziter gesetzlicher Regelung ohne weitere Voraussetzungen selbständig mit Beschwerde angefochten werden.
2.2.1. Nach überwiegender Meinung in der Doktrin besteht insoweit eine Anfechtungsobliegenheit, wobei die Anfechtungsmöglichkeit mit Ablauf der Beschwerdefrist verwirkt (Peter Reetz, in: Sutter-Somm/ Lötscher/Leuenberger/Seiler [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO), 4. Aufl. 2025, N. 5 der Vorb. Art. 308-318 ZPO; Brunner/Vischer, in: Oberhammer/Domej/Haas [Hrsg.], Kurzkommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2021, N. 13 zu Art. 319 ZPO; Urs H. Hoffmann-Nowotny, in: Kunz/Hoffmann-Nowotny/ Stauber [Hrsg.], ZPO-Rechtsmittel Berufung und Beschwerde, 2013, N. 16 zu Art. 319 ZPO; Denis Tappy, in: Commentaire romand, Code de procédure civile, 2. Aufl. 2019, N. 20 zu Art. 319 ZPO; Françoise Bastons Bulletti, in: Chabloz/Dietschy/Heinzmann [Hrsg.], Petit commentaire, Code de procédure civile, 2020, N. 9 zu Art. 319 ZPO; Kaufmann/Kaufmann, in: Brunner/Schwander/Vischer [Hrsg.], Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO] Kommentar, 3. Aufl. 2025, N. 23 zu Art. 124 ZPO; vgl. Sutter-Somm/Seiler, a.a.O., N. 11 zu Art. 319 ZPO), was unter anderem mit dem Gebot der Prozessökonomie und dem Prinzip der Einmaligkeit des Rechtsschutzes (Reetz, a.a.O., N. 5 der Vorb. Art. 308-318 ZPO) sowie mit der namentlich beim Entscheid über den Ausstandsgrund (Art. 50 Abs. 2 ZPO) unzweifelhaft erforderlichen unmittelbaren und sofortigen Anfechtung (Stephan Wullschleger, in: Sutter-Somm/Lötscher/Leuenberger/Seiler [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO), 4. Aufl. 2025, N. 16 zu Art. 319 ZPO) begründet wird.
2.2.2. Nach anderer Meinung sollte eine Obliegenheit zur selbständigen Anfechtung nur dann gelten, wenn der Verfahrensablauf dies bedingt, zumal das Gesetz bei den hier zur Diskussion stehenden Anordnungen - anders als bei Zwischenentscheiden nach Art. 237 Abs. 2 ZPO - eine spätere Anfechtung zusammen mit dem Endentscheid nicht ausdrücklich ausschliesst (Thomas Sutter-Somm, Zivilprozessrecht, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 2017, Rz. 1390; vgl. auch Jakob Steiner, Die Beschwerde nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung, 2019, Rz. 357 f., wonach die Annahme einer Anfechtungsobliegenheit im Hinblick auf die Regelung im Verfahren vor Bundesgericht unzweckmässig erscheint, da eine qualifizierte prozessleitende Verfügung unter Umständen nicht selbständig ans Bundesgericht weitergezogen werden könne, womit mit dem Weiterzug an das Bundesgericht bis zum Rechtsmittelentscheid der oberen kantonalen Instanz in der Hauptsache zugewartet werden müsste, was weder zu einer Beschleunigung noch zu einer Vereinfachung des Verfahrens führen würde).
2.2.3. Der überwiegenden Meinung ist zu folgen: In der gesetzlich vorgesehenen direkten Anfechtungsmöglichkeit ist implizit der gesetzgeberische Entscheid für eine Anfechtungsobliegenheit zu sehen. In diesen Fällen erachtet der Gesetzgeber eine spätere Anfechtung als nicht sachgerecht respektive nicht prozessökonomisch, weshalb von den Parteien nach Treu und Glauben (Art. 52 ZPO) erwartet werden darf, eine bestehende Anfechtungsmöglichkeit zu nutzen, andernfalls vom Einverständnis mit der Anordnung ausgegangen werden darf und muss. Im Ergebnis dient eine generelle Anfechtungsobliegenheit für qualifizierte prozessleitende Verfügungen nach Art. 319 lit. b Ziff. 1 ZPO auch der Rechtssicherheit.
Demnach besteht bei qualifizierten prozessleitenden Verfügungen gemäss Art. 319 lit. b Ziff. 1 ZPO eine Anfechtungsobliegenheit, womit die Anfechtungsmöglichkeit mit Ablauf der Beschwerdefrist verwirkt. Die selbständig eröffnete qualifizierte prozessleitende Verfügung kann demnach nach Ablauf der Beschwerdefrist nicht mehr mit dem Endentscheid angefochten werden.
Damit ist die Vorinstanz zu Recht nicht auf die Beschwerde des Beschwerdeführers eingetreten.
3.
Nach dem Gesagten ist die subsidiäre Verfassungsbeschwerde abzuweisen.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Aufgrund der Gutheissung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren sind die Gerichtskosten einstweilen auf die Gerichtskasse zu nehmen. Rechtsanwalt Davide Loss, Zürich, wird ein Honorar von Fr. 2'500.-- aus der Bundesgerichtskasse entrichtet. Das Honorar wird in praxisgemässer Anwendung des bundesgerichtlichen Tarifs bemessen. Der Beschwerdeführer wird darauf hingewiesen, dass er der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten hat, falls er dazu später in der Lage ist (Art. 64 Abs. 4 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die Beschwerde in Zivilsachen wird nicht eingetreten.
2.
Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.
4.
Rechtsanwalt Davide Loss, Zürich, wird aus der Bundesgerichtskasse ein Honorar von Fr. 2'500.-- ausgerichtet.
5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 19. Februar 2025
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Hurni
Der Gerichtsschreiber: Kistler