9C_528/2024 07.04.2025
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
9C_528/2024
Urteil vom 7. April 2025
III. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Moser-Szeless, Präsidentin,
Bundesrichter Stadelmann, Bundesrichterin Bollinger,
Gerichtsschreiberin Nünlist.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Sandra Nussbaumer,
Beschwerdeführerin,
gegen
Sanitas Grundversicherungen AG,
Jägergasse 3, 8004
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Krankenversicherung,
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 14. August 2024 (200 23 94 KV).
Sachverhalt:
A.
Die 1967 geborene A.________ leidet an einer Geschlechtsdysphorie im Sinne einer Mann-zu-Frau-Transidentität respektive an einem Transsexualismus (ICD-10 F64.0). Sie ist bei der Sanitas Grundversicherungen AG (nachfolgend: Sanitas) obligatorisch krankenpflegeversichert. Am 30. Dezember 2021 ersuchte der behandelnde Arzt, PD Dr. med. B.________, Facharzt für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie, bei der Sanitas um Kostengutsprache für eine Brustaugmentation sowie eine Feminisierung des Gesichtes (Abbohrung des Kinns von enoral und Liplift). Die Sanitas hielt mit dem vertrauensärztlichen Dienst Rücksprache. Mit Schreiben vom 6. Januar 2022 lehnte sie hinsichtlich der Gesichtsfeminisierung eine Übernahme der Kosten im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) ab. Dies bestätigte sie mit Verfügung vom 22. Juli 2022. Die hiergegen erhobene Einsprache blieb erfolglos (Einspracheentscheid vom 9. Januar 2023).
B.
Die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Urteil vom 14. August 2024 ab.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Übernahme der Kosten des Eingriffs zur Gesichtsfeminisierung (Kinn-Korrektur und Liplift) im Rahmen der OKP beantragen.
Die Beschwerdegegnerin und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) verzichten auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Indes prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 mit Hinweis).
2.
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob Bundesrecht verletzt wurde, indem das kantonale Gericht bei Vorliegen eines Transsexualismus (respektive einer Gender-/Geschlechtsdysphorie) die Pflicht der Beschwerdegegnerin zur Kostenübernahme im Rahmen der OKP für eine Gesichtsfeminisierung durch Kürzung des Philtrums (Nasen-Lippen-Abstand) mittels Liplifts und Kinn-Korrektur verneint hat.
2.2. Im angefochtenen Urteil werden die gesetzlichen Bestimmungen und die Grundsätze der Rechtsprechung korrekt dargelegt. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die Leistungspflicht im Rahmen der OKP bei Krankheit (Art. 3 Abs. 1 ATSG, Art. 24-31 und 32-34 KVG; BGE 145 V 116 E. 3) und im Zusammenhang mit der Veränderung von primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen sowie körperlichen Besonderheiten (insbesondere auch im Gesicht) bei einer Geschlechterdysphorie respektive einem Transsexualismus, sofern einzig die Morphologie betroffen ist (Urteil 9C_269/2022 vom 31. Januar 2023; vgl. auch BGE 142 V 316 E. 5.1; Urteile 9C_123/2022 vom 28. November 2022 und 9C_331/2020 vom 29. September 2020). Darauf wird verwiesen.
3.
3.1. Die Vorinstanz hat zu den aktenkundigen medizinischen Berichten Stellung genommen. Sie hat weiter eine wissenschaftliche Studie zur Länge des Philtrums erwähnt, dann jedoch darauf hingewiesen, dass das Gesamterscheinungsbild des Gesichtes massgebend sei, d.h. wie das Gesicht objektiv betrachtet wahrgenommen werde. Nach eigener Würdigung der aktenkundigen Fotografien vom Gesicht der Beschwerdeführerin hat das kantonale Gericht eine männliche Wahrnehmung der Beschwerdeführerin aufgrund des Kinns (d.h. der Kinnform) und des Nasen-Lippen-Abstandes verneint. Es hat die Gesichtszüge der Beschwerdeführerin als Ganzes (insbesondere inklusive der Nase) zwar als markanter beurteilt, als dies vielleicht bei anderen Frauen im gleichen Alter der Fall sei bzw. als es den Idealvorstellungen entspreche. Dennoch, so das Gericht weiter, liessen sie sich auch angesichts der hohen Variabilität der körperlichen Besonderheiten innerhalb des gleichen Geschlechts mit einer weiblichen Person vereinbaren. Eine unterschiedliche Behandlung der Beschwerdeführerin gegenüber Cis-Frauen hat die Vorinstanz mit Blick darauf abgelehnt und die Kostenübernahme im Rahmen der OKP betreffend die streitigen Eingriffe abschlägig beurteilt.
3.2. Was die Beschwerdeführerin dagegen vorbringen lässt, hält nicht stand:
3.2.1. Das kantonale Gericht hat sich mit der von der Beschwerdeführerin angeführten Stellungnahme von PD Dr. med. B.________ vom 3. März 2022 auseinandergesetzt (vorinstanzliche Erwägung 3.4 S. 13). Inwiefern es diesbezüglich in Willkür verfallen sein soll oder Recht verletzt haben soll, wird nicht dargetan, weshalb sich Weiterungen erübrigen (E. 1 hiervor).
Im Zusammenhang mit der Beantwortung der Frage nach dem Erscheinungsbild des Gesichtes als Ganzes ist sodann auf Folgendes hinzuweisen: Soweit sich die Beschwerdeführerin unter Verweis auf vier Beurteilungen der sie behandelnden respektive von ihr aufgesuchten Ärzte darauf beruft, dass die Voraussetzung einer objektiven Einschätzung gegeben sei, kann ihr nicht gefolgt werden. Diese Stellungnahmen vermögen weder hinsichtlich ihrer Anzahl noch ihrer Diversität eine Objektivität der Beurteilung zu gewährleisten (vgl. Urteil 9C_360/2023 vom 10. April 2024 E. 2.2.2). Im Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass die Stellungnahmen behandelnder respektive beratender Ärzte von Versicherten zurückhaltender zu würdigen sind, als die Einschätzungen "unbefangener Betrachter" (vgl. Urteil 9C_269/2022 vom 31. Januar 2023 E. 3.2.2) und es bei der Frage des Erscheinungsbildes ohnehin nicht um eine rein medizinische Frage geht (Urteil 9C_360/2023 vom 10. April 2024 E. 2.2.2). Dass die Vorinstanz bei dieser Sachlage eine eigene Würdigung der aktenkundigen Fotografien vorgenommen hat, ist nicht zu beanstanden. Inwieweit sie hierbei in Willkür verfallen sein soll, wird weder aufgezeigt noch ist dies ersichtlich: Vorab ist festzuhalten, dass nicht geltend gemacht wird, dass die Fotografien keine Einschätzung zuliessen. Vielmehr beruft sich die Beschwerdeführerin selbst auf die Fotodokumentation. Die Vorinstanz hat schliesslich differenziert zu den einzelnen Bildern Stellung genommen und begründet, warum sie die Gesichtszüge als Ganzes mit denjenigen einer weiblichen Person für vereinbar hält (vorinstanzliche Erwägung 3.6 S. 15 f.).
Inwiefern das Alter der Beschwerdeführerin "massgeblich gewichtet" worden sein soll, erhellt mit Blick auf die Erwägungen im angefochtenen Urteil nicht. Dass das Alter bei der Würdigung nicht gänzlich ausser Acht gelassen worden ist, verletzt kein Recht (Urteil 9C_269/2022 vom 31. Januar 2023 E. 2.3.2).
3.2.2. Das Vorliegen einer krankheitswertigen Folgeerscheinung im Sinne eines schweren psychischen Versagens voraussichtlich dauernder Natur (vgl. Urteil 9C_222/2023 vom 18. Dezember 2023 E. 3.3.2) wird nicht aufgezeigt.
3.2.3. Mit Blick auf das Dargelegte erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen gemäss Art. 32 KVG (vgl. Urteil 9C_360/2023 vom 10. April 2024 E. 2.2.2 mit Hinweis). Die Beschwerde ist unbegründet.
4.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 7. April 2025
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Moser-Szeless
Die Gerichtsschreiberin: Nünlist