6B_67/2025 14.05.2025
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
6B_67/2025
Urteil vom 14. Mai 2025
I. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
Bundesrichter von Felten,
Bundesrichter Guidon,
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführerin,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, Bahnhofstrasse 29, 8200 Schaffhausen,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Einfache Verletzung der Verkehrsregeln,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 10. Dezember 2024 (50/2023/10/E).
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen verurteilte die Beschwerdeführerin mit Strafbefehl vom 7. März 2022 wegen Verletzung der Verkehrsregeln durch Nichtbeherrschen des Fahrzeugs unter Kostenauflage zu einer Busse von Fr. 300.-- (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage). Ihr wurde kurz zusammengefasst vorgeworfen, die Kontrolle über ihr Kleinmotorrad bei einem Bremsmanöver verloren zu haben und in der Folge gestürzt zu sein. Auf Einsprache hin hielt die Staatsanwaltschaft nach ergänzter Untersuchung am Strafbefehl fest und überwies die Angelegenheit am 9. November 2022 zur Durchführung der Hauptverhandlung an das Kantonsgericht Schaffhausen, welches die Beschwerdeführerin mit Urteil vom 28. Februar 2023 wegen einfacher Verletzung der Verkehrsregeln (Nichtbeherrschen des Fahrzeugs) kostenfällig mit Fr. 300.-- büsste (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage). Eine dagegen gerichtete Berufung wies das Obergericht des Kantons Schaffhausen am 10. Dezember 2024 ab und bestätigte das kantonsgerichtliche Urteil im Schuld- und Strafpunkt. Zudem regelte es die Kostenfolgen.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt die Beschwerdeführerin u.a. die Aufhebung des Urteils des Obergerichts vom 10. Dezember 2024 und einen Freispruch von Schuld und Strafe, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
2.
Anfechtungsobjekt im bundesgerichtlichen Verfahren ist einzig der kantonal letztinstanzliche Entscheid (Art. 80 Abs. 1 BGG), d.h. das angefochtene Urteil vom 10. Dezember 2024. Nicht zu hören ist die Beschwerdeführerin mit Anträgen, Rügen und Vorbringen, die ausserhalb des durch das angefochtene Urteil begrenzten Streitgegenstands liegen. Dies ist namentlich der Fall, soweit die Beschwerdeführerin auf ihre Anzeige wegen fahrlässiger Verletzung der Regeln der Baukunde (Bau- resp. Werkmangel wegen gesetzeswidriger Betonbodenplatten ohne Besenstrich) Bezug nimmt und um Wiederaufnahme des diesbezüglichen Verfahrens sowie um Rückerstattung der Sicherheitsleistung in Höhe von Fr. 800.-- ersucht (vgl. Urteil 7B_811/2023 vom 20. Dezember 2023). Nichts anderes gilt, soweit sie dem Tiefbauamt des Kantons Schaffhausen eine Rüge wegen "Nichtstun" erteilen lassen und strassenbauliche Massnahmen umgesetzt haben will.
Ebenfalls nicht einzutreten ist auf die Entschädigungs- und Genugtuungsbegehren von Fr. 63'000.-- bzw. Fr. 25'000.--. Diese Begehren sind, soweit ersichtlich, neu und damit unzulässig (Art. 99 Abs. 2 BGG). Die Beschwerdeführerin macht im Übrigen auch nicht geltend, und es ergibt sich auch nicht aus dem angefochtenen Urteil, dass sie bereits im Berufungsverfahren um Entschädigung und Genugtuung ersucht, die Vorinstanz diese Anträge zu Unrecht nicht behandelt und dadurch ihr rechtliches Gehör verletzt hätte.
Soweit die Beschwerdeführerin den Beizug (der Akten) der "Anzeige bei der SHPOL" beantragt, weil Strafbefehl und Strafanzeige zusammengehörten, ist der Antrag abzuweisen, da die vorliegende Beschwerde auch ohne deren Beizug beurteilt werden kann.
3.
Nach Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Begründung der Beschwerde in Strafsachen in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt. Um diesem Erfordernis zu genügen, muss die beschwerdeführende Partei mit ihrer Kritik bei den als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägungen der Vorinstanz ansetzen (BGE 146 IV 297 E. 1.2; 140 III 86 E. 2). Die Bestimmungen von Art. 95 ff. BGG nennen die vor Bundesgericht zulässigen Beschwerdegründe. Hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten einschliesslich der Anfechtung des Sachverhalts wegen Willkür besteht eine qualifizierte Rügepflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 148 IV 356 E. 2.1, 39 E. 2.6).
4.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Strafbefehl sei entgegen der willkürlichen Behauptung der Vorinstanz ohne ergänzende Untersuchung an die erste Instanz überwiesen worden. Sie verkennt bei ihrer Kritik, dass die nach Einspracheerhebung mit ihr durchgeführte Einvernahme vom 5. September 2022 eine Beweisabnahme im Sinne von Art. 355 Abs. 1 StPO darstellt und die Untersuchung damit vor Überweisung der Sache an das Gericht ergänzt wurde. Inwiefern diesbezüglich Willkür oder eine Verletzung von Bundesrecht vorliegen könnte, bleibt unerfindlich.
5.
Als unbegründet erweist sich die Rüge der Formungültigkeit des Strafbefehls vom 7. März 2022 wegen fehlender eigenhändiger Unterschrift des zuständigen Staatsanwalts. Nach Art. 17 Abs. 1 StPO können Bund und Kantone die Verfolgung und Beurteilung von Übertretungen Verwaltungsstrafbehörden übertragen. Eine kantonale Regelung, die in analoger Anwendung von Art. 17 Abs. 1 StPO innerhalb der Staatsanwaltschaft nicht Staatsanwälte, sondern andere Mitarbeiter, auch nicht-juristisches Personal, für den Erlass von Strafbefehlen bei blossen Übertretungen für zuständig erklärt, ist zulässig, vorausgesetzt, dass hierfür eine genügende gesetzliche Grundlage besteht (BGE 142 IV 70 E. 3 und 4, in fine E. 4.3 mit Hinweisen auf das Schrifttum). Eine solche formell-rechtliche Gesetzesgrundlage findet sich im Justizgesetz des Kantons Schaffhausen vom 9. November 2009 (JG/SH; SHR 173.200). Unter dem Titel "Strafbefehlskompetenz" sieht Art. 77 Abs. 2 JG/SH vor, dass Mitarbeitende der Staatsanwaltschaft, gestützt auf ihre persönlichen Pflichtenhefte sowie unter der Verantwortung der Verfahrensleitung, Strafbefehle für Übertretungen erlassen können. Im Umstand, dass der fallzuständige Aktuar den Strafbefehl vom 7. März 2022 erlassen und unterzeichnet hat, ist mithin kein Formmangel zu erblicken. Es kann auf die zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Urteil verwiesen werden (Art. 109 Abs. 3 BGG).
6.
Die Beschwerdeführerin wendet sich weiter gegen die Verurteilung wegen einfacher Verkehrsregelverletzung durch Nichtbeherrschen des Fahrzeugs.
Die Vorinstanz weist im angefochtenen Urteil zu Recht darauf hin, dass ihre Überprüfungsbefugnis als Berufungsinstanz in Anbetracht der vorgeworfenen Übertretung eingeschränkt ist und dass neue Behauptungen und Beweise im Verfahren gemäss Art. 398 Abs. 4 StPO nicht vorgebracht werden können. Sie verneint eine offensichtlich unrichtige oder rechtsverletzende Sachverhaltsfeststellung durch die erste Instanz und legt unter Verweis auf die erstinstanzlichen Erwägungen mit ergänzender Begründung dar, weshalb sie für erstellt hält, dass sich die Beschwerdeführerin der einfachen fahrlässigen Verkehrsregelverletzung durch Nichtbeherrschen des Fahrzeugs schuldig gemacht hat. Sie geht mit der ersten Instanz davon aus, dass die Beschwerdeführerin ihre Sorgfaltspflicht (fahrlässig) verletzt hat, kein Werk- bzw. Baumangel in Bezug auf die Betonbodenplatten an der Unfallstelle vorliegt und selbst das Vorliegen eines solchen Mangels den Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Unfall nicht zu unterbrechen vermöchte. Der Lenker habe sein Fahrzeug gemäss Art. 31 Abs. 1 SVG so zu beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten ständig nachkommen könne; er müsse jederzeit in der Lage sein, auf die jeweils erforderliche Weise auf das Fahrzeug einzuwirken und auf jede Gefahr ohne Zeitverlust zweckmässig zu reagieren. Das Mass der Aufmerksamkeit richte sich nach den gesamten Umständen, namentlich der Verkehrsdichte, den örtlichen Verhältnissen, der Zeit, der Sicht und den voraussehbaren Gefahrenquellen. Für die Beschwerdeführerin sei aufgrund der nassen Fahrbahn, der Besonderheiten des Fahrzeugs (Motorroller) und der optisch gut wahrnehmbaren Veränderung des Bodenbelags (Betonbodenplatten) vorhersehbar gewesen, dass sie bei einem Bremsmanöver ins Rutschen geraten könnte. Statt ihre Geschwindigkeit bereits früher weiter zu mässigen, um bei einem Bremsmanöver einem allfälligen Wegrutschen des Rollers begegnen zu können, habe sie durch ein nicht angepasstes Tempo, die Rutschgefahr begünstigt, deren Auswirkungen sie nicht mehr habe verhindern können. Angesichts der konkreten Umstände wäre eine erheblichere Geschwindigkeitsreduktion die adäquate Massnahme gewesen, mit der ein Wegrutschen des Rollers hätte vermieden werden können. Dies gelte selbst dann, wenn die Betonbodenplatte - wie die Beschwerdeführerin einwende - enorm rutschig gewesen wäre. Dass ein Strassenbelag bei Nässe sehr glatt werden könne, stelle keinen derart aussergewöhnlichen Umstand dar, mit dem sie als Fahrzeugführerin nicht hätte rechnen müssen.
Was die Beschwerdeführerin dagegen vorbringt, dringt nicht durch. Sie beschränkt sich neben nicht sachbezüglichen Ausführungen darauf, ihre eigene Sicht auf das Unfallgeschehen und die nach ihr vermeintliche Unfallursache zu schildern und rechtlich zu würdigen. Sie wiederholt ihre bereits im Berufungsverfahren erhobenen Vorbringen und macht dabei auch vor Bundesgericht einen in ihren Augen für den (Selbst-) Unfall ursächlichen Werk- resp. Baumangel der Strassenoberfläche (gesetzeswidrige Betonplatten ohne Besenstrich) zum Angelpunkt ihrer Ausführungen. Ohne sich mit den Erwägungen der Vorinstanzen im Einzelnen hinreichend zu befassen, stellt sie sich unter Anrufung diverser Verfassungs- und Konventionsbestimmungen kurz zusammengefasst auf den Standpunkt, nichts falsch gemacht zu haben, sich keine Unachtsamkeiten vorwerfen lassen zu müssen, auf die Einhaltung von Bauvorschriften und der Strassensicherheit vertrauen zu dürfen, eine amtliche "Unterlassungs-Schuld" nicht auf sich zu nehmen und den Kausalzusammenhang zwischen Unfall und Baumangel fehlerfrei bewiesen zu haben. Damit vermag sie indessen nicht in einer den Formerfordernissen genügenden Weise aufzuzeigen, inwiefern die Sachverhaltsfestellungen der ersten Instanz falsch sein sollten und die Vorinstanz bei deren Überprüfung Willkür zu Unrecht verneint haben könnte; ebenso wenig, inwiefern, ausgehend vom festgestellten Sachverhalt, Recht im Sinne von Art. 95 BGG verletzt worden sein soll. Aus der Beschwerde ergibt sich mithin nicht, dass und weshalb der Schuldspruch wegen einfacher Verkehrsregelverletzung durch Nichtbeherrschen des Fahrzeugs auf einer willkürlichen Sachverhaltsfeststellung beruhen oder sonstwie gegen Bundesrecht verstossen könnte. Dies ist im Übrigen auch nicht ersichtlich.
7.
Ohne Erfolg bleibt die Beschwerde, soweit die Beschwerdeführerin Art. 52 und 54 StGB anruft und in dieser Hinsicht behauptet, die Voraussetzungen für eine Strafbefreiung lägen vor. Die Vorinstanz führt unter Verweis auf das erstinstanzliche Urteil und unter Bezugnahme auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung aus, das Vorliegen eines Bagatellfalls reiche für die Anwendung von Art. 100 Ziff. 1 SVG sowie Art. 52 StGB für sich allein nicht aus. Zudem sprächen die abstrakte Fremdgefährdung für andere Verkehrsteilnehmer (Sturz und unkontrolliertes Weiterschlittern des Motorrollers auf der Fahrbahn), insbesondere aufgrund der Nähe zum Fussgängerstreifen und zur Bushaltestelle, sowie der entstandene Personen- und Sachschaden gegen einen besonders leichten Fall resp. gegen geringfügige Tatfolgen. Eine schwere Selbstbetroffenheit im Sinne von Art. 54 StGB sei ebenfalls zu verneinen, zumal diese Bestimmung bei einem Personenschaden der Täterin nur bei schweren körperlichen Beeinträchtigungen als Folge selbstverschuldeter Verkehrsunfälle zur Anwendung gelange. Auf diese Erwägungen kann in Anwendung von Art. 109 Abs. 3 BGG verwiesen werden, ohne dass ihnen etwas beizufügen und auf die Kritik der Beschwerdeführerin, aus der sich nicht ergibt, inwiefern Recht unrichtig angewendet worden sein soll, ein weiteres Mal einzugehen wäre.
8.
Ohne dass sich das Bundesgericht zu sämtlichen Vorbringen und Ausführungen der Beschwerdeführerin ausdrücklich äussern müsste, ist die Beschwerde im Verfahren nach Art. 109 BGG als unbegründet abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist infolge Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführerin sind reduzierte Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 i.V.m. Art. 65 Abs. 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 14. Mai 2025
Im Namen der I. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill