6B_456/2025 06.06.2025
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
6B_456/2025
Urteil vom 6. Juni 2025
I. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter von Felten, als präsidierendes Mitglied,
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Gesuchstellerin (Beschwerdeführerin)
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden, Erster Staatsanwalt,
Rohanstrasse 5, 7000 Chur,
Gesuchsgegnerin (Beschwerdegegnerin).
Gegenstand
Übertretung der Chauffeurverordnung; Gesuch um Wiederherstellung der Frist; Nichteintreten,
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden, I. Strafkammer, vom 16. Oktober 2024
(SK 1 24 9).
Das präsidierende Mitglied zieht in Erwägung:
1.
Das Kantonsgericht Graubünden verurteilte A.________ am 16. Oktober 2024 wegen Übertretung der Chauffeurverordnung (SR 822.221) kostenfällig zu einer Busse von Fr. 600.-- (Ersatzfreiheitsstrafe 6 Tage).
2.
Nach Art. 100 Abs. 1 BGG ist eine Beschwerde in Strafsachen innert 30 Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung des angefochtenen Entscheids beim Bundesgericht einzureichen. Innert der 30-tägigen Beschwerdefrist, die vorliegend mit der Urteilszustellung vom 22. Oktober 2024 am 23. Oktober 2024 zu laufen begann und am 21. November 2024 endete, wurde beim Bundesgericht keine Beschwerde in Strafsachen gegen das kantonsgerichtliche Urteil vom 16. Oktober 2024 erhoben.
3.
A.________ ersucht mit Eingabe vom 17. Mai 2025 um Wiederherstellung der Beschwerdefrist im Sinne von Art. 50 BGG. Die Beschwerdefrist gegen das Urteil des Kantonsgerichts Graubünden sei aus Gründen versäumt worden, die nicht in ihrem Verantwortungsbereich lägen. Sie habe ihrem Anwalt per E-Mail durch ihren Sohn ausdrücklich den Auftrag erteilt, Beschwerde gegen das kantonsgerichtliche Urteil an das Bundesgericht einzureichen. Leider habe der Anwalt diesen Auftrag nicht umgesetzt. Sie sei davon ausgegangen, er werde die Beschwerde ordnungsgemäss einreichen. Erst durch den Zahlungsbefehl und das nun laufende Rechtsöffnungsverfahren sei ihr klar geworden, dass keine Beschwerde erhoben worden sei. Ihre Verurteilung, wogegen sie sich zur Wehr setze, basiere auf falschen Annahmen und sei offensichtlich unrichtig. Sie sei unschuldig. Sie habe ihre Fahrtschreiberkarte B.________ nicht vorsätzlich überlassen; er habe diese vielmehr ohne ihre Zustimmung eigenmächtig benutzt, nachdem sie diese im Fahrzeug versehentlich liegen gelassen habe. Sowohl ihr Sohn als auch B.________ könnten dies bezeugen. Die Beschwerdefrist sei daher wiederherzustellen und ihr zu ermöglichen, eine Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 ff. BGG einzureichen.
4.
Gemäss Art. 50 Abs. 1 BGG wird eine versäumte Frist wiederhergestellt, wenn die betroffene Partei nachweist, dass sie oder ihr Vertreter durch ein unverschuldetes Hindernis abgehalten worden ist, innerhalb der Frist zu handeln, und binnen 30 Tagen nach Wegfall des Hindernisses die Wiederherstellung verlangt und die versäumte Rechtshandlung nachholt. Ein unverschuldetes Hindernis im Sinne dieser Bestimmung kann nur angenommen werden, wenn der Partei kein Vorwurf gemacht werden kann (vgl. BGE 143 I 284 E. 1.3; 112 V 255 E. 2a; Urteil 6B_174/2023 vom 26. April 2023 E. 3.2 mit Hinweis). Nach der Rechtsprechung kann die Wiederherstellung nur bei klarer Schuldlosigkeit gewährt werden. Jedes Verschulden einer Partei, ihres Vertreters oder beigezogener Hilfspersonen, so geringfügig es sein mag, schliesst die Wiederherstellung aus. Es gilt ein strenger Massstab (statt vieler Urteile 6B_305/2024 vom 25. April 2024 E. 3.1; 6B_1480/2022 vom 13. Januar 2023 E. 3.1; 6B_774/2021 vom 3. November 2021 E. 1.3; je mit Hinweisen).
5.
Die Gesuchstellerin (Beschwerdeführerin) macht geltend, sie habe darauf vertraut bzw. darauf vertrauen dürfen, ihr Anwalt werde die Beschwerde an das Bundesgericht auftragsgemäss innert Frist erheben. Eine Fristwiederherstellung nach Art. 50 BGG fällt damit ausser Betracht. Die in der Praxis hierfür verlangte "klare Schuldlosigkeit" liegt nicht vor. Dass die Gesuchstellerin (Beschwerdeführerin) persönlich kein Verschulden am Verpassen der Frist tragen soll, ist unerheblich, zumal sie sich nach ständiger Rechtsprechung auch allfällige Fehlleistungen des Anwalts zurechnen lassen muss (vgl. vorstehend E. 4). Die vom Bundesgericht hiervon einzig anerkannte, im vorliegenden Fall aber nicht gegebene Ausnahme, bezieht sich auf Fälle notwendiger Verteidigung nach Art. 130 StPO im Zusammenhang mit einer Wiederherstellung nach Art. 94 StPO im kantonalen Strafprozess (vgl. BGE 149 IV 97 E. 2.3; 143 I 284 E. 2.2.3; Urteil 6B_1111/2017 vom 7. August 2018 E. 2). Das Institut der notwendigen Verteidigung, wie es die Strafprozessordnung vorsieht, ist dem BGG fremd (vgl. BGE 146 IV 364 E. 1.2; Urteil 6B_178/2021 vom 24. Februar 2022 E. 1.2); im Verfahren vor Bundesgericht entscheidet die beschuldigte Person (vorbehältlich Art. 41 BGG, der eine andere Fallkonstellation betrifft) selbst, ob sie sich durch einen Anwalt vertreten lassen will oder nicht (BGE 149 IV 97 E. 2.1; Urteile 6B_1480/2022 vom 13. Januar 2023 E. 3.2; 6B_1244/2020 vom 15. Dezember 2020 E. 2.2. und 6F_28/2020 vom 18. November 2020 E. 7).
6.
Besteht, wie hier, für eine Fristwiederherstellung kein Raum, erweist sich die mit dem Gesuch zugleich eingereichte Beschwerde ohne Weiteres als verspätet, weshalb darauf im Verfahren nach Art. 108 BGG nicht einzutreten ist.
7.
Ausgangsgemäss sind die Gerichtskosten (Art. 65 BGG) der Gesuchstellerin (Beschwerdeführerin) aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 erster Satz BGG).
Demnach erkennt das präsidierende Mitglied:
1.
Das Fristwiederherstellungsgesuch wird abgewiesen.
2.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden der Gesuchstellerin (Beschwerdeführerin) auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht von Graubünden, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 6. Juni 2025
Im Namen der I. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: von Felten
Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill