7B_195/2023 15.01.2024
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
7B_195/2023
Urteil vom 15. Januar 2024
II. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Abrecht, Präsident,
Bundesrichterin Koch, Bundesrichter Kölz,
Gerichtsschreiber Stadler.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Julian Burkhalter,
Beschwerdeführer,
gegen
Matthias Steiner,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Strafverfahren; Ausstand,
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts
des Kantons Solothurn, Beschwerdekammer,
vom 31. Mai 2023 (BKAUS.2023.3).
Sachverhalt:
A.
Vor dem Amtsgericht Solothurn-Lebern ist ein Verfahren gegen A.________ wegen versuchter vorsätzlicher Tötung, eventualiter Gefährdung des Lebens, hängig. Am 16. Mai 2023 liess A.________ anlässlich der Hauptverhandlung ein Ausstandsgesuch gegen den ausserordentlichen Amtsgerichtsstatthalter Matthias Steiner stellen, da dieser Gerichtsschreiber sei. Ein solcher sei nicht unabhängig und neutral und er sei nicht gewählt worden. Er habe keine Legitimation, sich das Amt des Gerichtspräsidenten anzumassen. Die Verteidigung sei nicht informiert worden. Die ordnungsgemässe Bestellung des Gerichts stehe nicht zur Disposition der Parteien und des Gerichts.
B.
Das Richteramt Solothurn-Lebern leitete das Gesuch am 17. Mai 2023 an die Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Solothurn - mit einer entsprechenden Stellungnahme von Matthias Steiner - weiter. A.________ liess sich dazu mit Eingabe vom 26. Mai 2023 vernehmen, wobei er zusätzlich den Ausstand des gesamten Obergerichts stellte. Mit Beschluss vom 31. Mai 2023 trat das Obergericht auf die Ausstandsgesuche gegen das gesamte Obergericht und gegen den ausserordentlichen Amtsgerichtsstatthalter Matthias Steiner nicht ein.
C.
A.________ gelangt mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht und beantragt, der Beschluss des Obergerichts vom 31. Mai 2023 sei aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, auf das Ausstandsgesuch betreffend Matthias Steiner einzutreten. Es sei festzustellen, dass die Vorinstanz Art. 6 Ziff. 1 EMRK verletzt habe. Ihm (A.________) sei für das Verfahren vor der Vorinstanz die amtliche respektive die notwendige Verteidigung zu gewähren. Eventualiter sei die Sache zur neuen Begründung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ausserdem ersucht A.________ um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung im bundesgerichtlichen Verfahren.
Das Obergericht und Matthias Steiner schliessen auf Abweisung der Beschwerde. A.________ hat eine Replik eingereicht.
Erwägungen:
1.
Die Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 78 ff. bzw. Art. 92 Abs. 1 BGG sind erfüllt. Auf die Beschwerde ist - unter Vorbehalt der nachfolgenden Erwägung - einzutreten.
2.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der Ausstandsvorschriften sowie von Art. 9 BV, Art. 5 Abs. 3 BV, Art. 29 Abs. 1 und 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK.
2.1. Die Vorinstanz erwog, bei Matthias Steiner handle es sich nicht um einen ordentlichen Richter einer Amtei, der gemäss § 13 des kantonalen Gesetzes über die Gerichtsorganisation (GO; BGS 125.12) vom Volk zu wählen sei, sondern um einen ausserordentlichen Statthalter. Ob es sich bei ihm um einen Richter im Sinne von Art. 30 BV handle oder nicht, sei indessen keine Ausstandsfrage. Auf das Ausstandsgesuch ihn betreffend sei daher nicht einzutreten. Zu erwähnen sei aber, dass die Einsetzung von Matthias Steiner gestützt auf § 102 GO erfolgt sei, wonach ausserordentliche Vertretungen bis auf die Dauer von 2 Jahren von der Gerichtsverwaltungskommission auf Antrag des Gerichtes angestellt werden könnten. Die Wahl von Matthias Steiner stütze sich folglich auf ein vom Kantonsrat verabschiedetes Gesetz, welches gemäss § 87 Abs. 2 der Kantonsverfassung (KV; BGS 11.1) die Organisation, Zuständigkeit und das Verfahren der Gerichtsbarkeit regle. Zur Organisation gehöre die Regelung von ausserordentlichen Vertretungen.
Im Übrigen - so die Vorinstanz - wäre das Ausstandsgesuch auch verspätet gestellt worden: Wie bereits im Ausstandsverfahren BKAUS.2023.2 betreffend die Sachverständige Frau Dr. B.________ und den Amtsrichter Markus Zubler ausgeführt, sei den Parteien am 9. November 2022 u.a. die Besetzung des Gerichts bekanntgegeben und Gelegenheit zur Einreichung von Ausstandsgesuchen eingeräumt worden. Die Verfügung sei sowohl an den privaten Verteidiger, Rechtsanwalt Banga, als auch an Rechtsanwalt Burkhalter, dessen amtliches Mandat damals offenbar sistiert gewesen sei, gegangen. Rechtsanwalt Burkhalter habe am 12. Dezember 2022 mitgeteilt, ohne Gegenbericht gehe er davon aus, dass seine Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht erwünscht sei. Gleichzeitig habe er seine Honorarnote eingereicht. Mit Verfügung vom 13. Dezember 2022 habe das Richteramt Solothurn-Lebern den Parteien eine Änderung in der Richterbesetzung mitgeteilt (Wechsel von der Amtsgerichtspräsidentin Nicole Mattiello zum a.o. Amtsgerichtsstatthalter Matthias Steiner). Rechtsanwalt Banga habe das Richteramt Solothurn-Lebern am 5. Januar 2023 dahingehend informiert, es würden zurzeit keine Ausstandsgründe geltend gemacht. Diese Handlungen habe sich Rechtsanwalt Burkhalter anrechnen zu lassen. Das an der Hauptverhandlung vom 16. Mai 2023 gestellte Ausstandsgesuch gegen den a.o. Amtsgerichtsstatthalter Steiner wäre daher offensichtlich verspätet gestellt worden, weshalb auf das Gesuch auch aus diesem Grund nicht einzutreten wäre.
2.2.
2.2.1. Nach Art. 30 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II hat jede Person Anspruch darauf, dass ihre Sache von unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Justizpersonen ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Dies soll zu der für einen korrekten und fairen Prozess erforderlichen Offenheit des Verfahrens beitragen und ein gerechtes Urteil ermöglichen (BGE 140 I 240 E. 2.2; 271 E. 8.4; 326 E. 5.1; 140 III 221 E. 4.1; 137 I 227 E. 2.1; je mit Hinweisen). Die grundrechtliche Garantie wird in Art. 56 StPO konkretisiert (BGE 138 I 425 E. 4.2.1 mit Hinweisen).
Will eine Partei den Ausstand einer in einer Strafbehörde tätigen Person verlangen, so hat sie der Verfahrensleitung ohne Verzug ein entsprechendes Gesuch zu stellen, sobald sie vom Ausstandsgrund Kenntnis hat; die den Ausstand begründenden Tatsachen sind glaubhaft zu machen (Art. 58 Abs. 1 StPO). Nach der Rechtsprechung muss die gesuchstellende Person den Ausstand in den nächsten Tagen nach Kenntnis des Ausstandsgrunds verlangen. Andernfalls verwirkt sie grundsätzlich den Anspruch (siehe BGE 143 V 66 E. 4.3 mit Hinweisen). In der Regel gilt ein sechs bis sieben Tage nach Kenntnis des Ausstandsgrunds gestelltes Gesuch noch als rechtzeitig gestellt; ein zwei- bis dreiwöchiges Zuwarten ist dagegen bereits verspätet (Urteile 6B_321/2023 vom 16. Juni 2023 E. 4.2.2; 1B_209/2022 vom 22. Dezember 2022 E. 2.1; 1B_597/2021 vom 27. Oktober 2022 E. 2.1; je mit Hinweisen). Bei ganz offensichtlichem Anschein der Befangenheit steht die allfällige Verspätung eines Ausstandsgesuchs der Ausstandspflicht unter Umständen nicht entgegen (vgl. BGE 134 I 20 E. 4.3.2; Urteile 6B_321/2023 vom 16. Juni 2023 E. 4.2.2; 1B_209/2022 vom 22. Dezember 2022 E. 2.1; 1B_240/2021 vom 8. Februar 2022 E. 3.3.1).
2.2.2. Die Beschwerde an das Bundesgericht ist zu begründen (Art. 42 Abs. 1 BGG). In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 143 I 377 E. 1.2). Die Begründung muss sachbezogen sein und erkennen lassen, dass und weshalb nach Auffassung des Beschwerdeführers Recht verletzt ist (BGE 142 I 99 E. 1.7.1). Die beschwerdeführende Partei kann in der Beschwerdeschrift nicht bloss erneut die Rechtsstandpunkte bekräftigen, die sie im kantonalen Verfahren eingenommen hat, sondern hat mit ihrer Kritik an den als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägungen der Vorinstanz anzusetzen (BGE 146 IV 297 E. 1.2 mit Hinweisen). Eine qualifizierte Begründungspflicht obliegt, soweit die Verletzung von Grundrechten einschliesslich Willkür behauptet wird (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 148 IV 39 E. 2.3.5). Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 114 E. 2.1; je mit Hinweisen).
2.3. Die Rügen des Beschwerdeführers sind unbegründet:
Vorab vermag nicht zu überzeugen, wenn er behauptet, die Vorinstanz habe namentlich gegen den Grundsatz von Treu und Glauben und den Anspruch auf rechtliches Gehör verstossen, indem sie seine Eingabe vom 2. Juni 2023 aus dem Recht gewiesen habe. Dem Beschwerdeführer wurde im vorinstanzlichen Verfahren mit Verfügung vom 19. Mai 2023 Gelegenheit gegeben, sich zur Stellungnahme von Matthias Steiner vom 17. Mai 2023 bis am 2. Juni 2023 zu äussern. Am 26. Mai 2023 liess sich der Beschwerdeführer zur Sache vernehmen, wobei er zusätzlich beantragte, dass die mit obergerichtlicher Verfügung vom 19. Mai 2023 gesetzte Frist zur Stellungnahme aufzuheben und neu anzusetzen sei. Wie er vor Bundesgericht betont, sei es darum gegangen, weitere Unterlagen zur Begründung des Ausstandsgesuchs erhältlich zu machen und eine Fristerstreckung zu bewirken. Dass die Vorinstanz in der Folge bereits am 31. Mai 2023 über das Ausstandsgesuch gegen Matthias Steiner befand und dem Beschwerdeführer vorgängig nicht nochmal Gelegenheit einräumte, eine weitere Stellungnahme einzureichen, ist mit Blick auf den vorinstanzlichen Verfahrensausgang nicht zu beanstanden.
Soweit sich der Beschwerdeführer zur Rechtzeitigkeit seines Ausstandsgesuchs gegen Matthias Steiner äussert, ist weder ersichtlich noch unter Willkürgesichtspunkten hinlänglich dargetan, dass dem Beschwerdeführer nicht bereits mit Verfügung vom 13. Dezember 2022 der Wechsel der Verfahrensleitung (von der Amtsgerichtspräsidentin Nicole Mattiello auf den a.o. Amtsgerichtsstatthalter Matthias Steiner) mitgeteilt worden wäre. Er behauptet zudem nicht, dass sein damaliger Verteidiger daraufhin Ausstandsgründe geltend gemacht habe. Damit war das gegen Matthias Steiner am 16. Mai 2023 gestellte Ausstandsgesuch verspätet. Daran ändert nichts, dass Matthias Steiner tatsächlich erst mit Wirkung ab dem 20. März 2023 als ausserordentlicher Amtsgerichtsstatthalter amtete (und alsdann die Verfahrensleitung im Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer übernahm).
Schliesslich liegt jedenfalls auch kein ganz offensichtlicher Befangenheitsgrund vor, zumal Matthias Steiner nach den kantonalrechtlichen Bestimmungen als ausserordentlicher Amtsgerichtsstatthalter eingesetzt wurde.
Im Ergebnis ist die Vorinstanz zu Recht nicht auf das Ausstandsgesuch des Beschwerdeführers eingetreten. Ihr Vorgehen stellt entgegen dem Beschwerdeführer keine Rechtsverweigerung dar.
3.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (und Verbeiständung) ist wegen Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Aufgrund der anzunehmenden Mittellosigkeit sind die Gerichtskosten herabzusetzen (Art. 65 Abs. 2 i.V.m. Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Dem Beschwerdeführer werden die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Solothurn, Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 15. Januar 2024
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Abrecht
Der Gerichtsschreiber: Stadler