7B_39/2023 13.03.2024
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
7B_39/2023
Urteil vom 13. März 2024
II. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Abrecht, Präsident,
Bundesrichter Kölz, Bundesrichter Hurni,
Gerichtsschreiber Forster.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Stephan Stulz,
Beschwerdeführer,
gegen
Staatsanwaltschaft Baden,
Staatsanwalt Marc Dellsperger, Täfernhof, Mellingerstrasse 207, 5405 Dättwil AG,
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 20, 5001 Aarau.
Gegenstand
Strafverfahren; Ausstand,
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 30. März 2023 (SBK.2023.77).
Sachverhalt:
A.
A.a. Am 11. August 2017, 27. September 2017 und 4. Juli 2019 reichte A.________ Strafanzeigen ein gegen drei Vorstandsmitglieder (Präsidentin, Vizepräsidentin und Kassier) eines privaten Vereins wegen des Vorwurfes der Sachbeschädigung, des Diebstahls, des Hausfriedensbruches, der Veruntreuung und der Urkundenfälschung.
A.b. Die Staatsanwaltschaft Baden erhob am 9. Dezember 2020 separate Anklagen gegen die drei Vorstandsmitglieder des Vereins wegen Veruntreuung, Diebstahl, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch. Die drei Beschuldigten wurden mit Urteilen des Bezirksgerichts Baden vom 3. Dezember 2021 von sämtlichen Vorwürfen freigesprochen.
A.c. Am 18. November 2019 erhob der Kassier des Vereins gegen A.________ und allfällige Mitbeteiligte Strafanzeige wegen falscher Anschuldigung. Die von der Staatsanwaltschaft Baden gegen A.________ eröffnete Strafuntersuchung wegen falscher Anschuldigung wurde am 23. Januar 2020 auf Rechtsanwalt Stephan Stulz ausgeweitet.
A.d. Am 29. September 2021 reichte A.________ bei der Regionalpolizei Zurzibiet Strafanzeige ein gegen seine Ehefrau und deren Onkel wegen einfacher Körperverletzung, Drohung, Nötigung und Tätlichkeiten. Seine Ehefrau reichte ihrerseits am 29. Dezember 2022 bei der Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach Strafanzeige gegen A.________ wegen des betreffenden Vorfalls ein. Die Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach ersuchte die Staatsanwaltschaft Baden am 20. Januar 2023 um Verfahrensübernahme. Mit Verfügung vom 15. Februar 2023 übernahm die Staatsanwaltschaft Baden das Verfahren betreffend Körperverletzung usw.
A.e. Eine Disziplinaranzeige des Bezirksgerichtes Baden gegen Rechtsanwalt Stephan Stulz wegen des Verdachtes einer Verletzung der Berufsregeln wurde von der Anwaltskommission des Kantons Aargau mit Entscheid vom 9. Januar 2023 geprüft. Die Anwaltskommission verneinte eine Verletzung von Berufspflichten (im Sinne von Art. 12 lit. c BGFA).
B.
B.a. Mit Eingabe vom 28. Februar 2023 beantragte A.________, vertreten durch Rechtsanwalt Stephan Stulz, bei der Staatsanwaltschaft Baden den Ausstand des verfahrensleitenden Staatsanwalts Marc Dellsperger. Am 1. März 2023 übermittelte die Staatsanwaltschaft das Ausstandsbegehren an die Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts des Kantons Aargau zur Beurteilung, mit einer Stellungnahme von Staatsanwalt Marc Dellsperger.
B.b. Mit Entscheid vom 30. März 2023 trat das Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, auf das Ausstandsgesuch nicht ein.
C.
Gegen den Entscheid des Obergerichtes vom 30. März 2023 gelangte A.________ mit Beschwerde vom 11. Mai 2023 an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und die Gutheissung seines Ausstandsgesuches.
Die Vorinstanz und die Oberstaatsanwaltschaft verzichteten am 22. bzw. 23. Mai 2023 je ausdrücklich auf eine Vernehmlassung. Von der Staatsanwaltschaft Baden bzw. vom betroffenen Staatsanwalt ist (innert fakultativ angesetzter Frist) keine Stellungnahme eingegangen.
Erwägungen:
1.
Die Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 78 ff. bzw. Art. 92 Abs. 1 BGG sind grundsätzlich erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass.
2.
Der Beschwerdeführer hat in seinem Ausstandsgesuch vom 28. Februar 2023 geltend gemacht, der Staatsanwalt (nachfolgend: Beschwerdegegner) habe zu Unrecht die Ausweitung der gegen ihn eröffneten Strafuntersuchung (wegen falscher Anschuldigung) auf seinen Rechtsvertreter verfügt. Ausserdem beanstandete er die Übernahmeverfügung vom 15. Februar 2023 (betreffend einfache Körperverletzung usw.). Als Ausstandsgrund brachte er schon vorinstanzlich vor, die prozessuale Vorgehensweise des Beschwerdegegners sei "offensichtlich willkürlich und rechtswidrig" und verstosse "offenkundig mehrfach gegen elementare Grund- und Verfahrensrechte der EMRK sowie der Bundesverfassung". Dieser habe grundlos und ohne Rechtsgrundlage ein Strafverfahren gegen den Rechtsvertreter eröffnet, was nicht anders gedeutet werden könne, als dass der Beschwerdegegner "starke Abneigungen" persönlicher Art sowohl gegen ihn, den Beschwerdeführer, als auch dessen seinen Rechtsvertreter hege und deswegen befangen sei.
Der Beschwerdeführer rügt, der angefochtene Entscheid des Obergerichtes, das auf sein Ausstandsbegehren nicht eintrat, verletze insbesondere Art. 56 StPO und Art. 29 Abs. 1 BV. Die Vorinstanz habe die von ihm beanstandeten Verfahrensverletzungen zu Unrecht "in Einzeltatsachen aufgespalten und ausschliesslich isoliert gewürdigt". Die Übernahmeverfügung des Beschwerdegegners vom 15. Februar 2023 sei prozessual nur "der letzte Tropfen" gewesen, der "das Fass eigentlich schon lange zum Überlaufen gebracht" habe.
3.
3.1. Die Ausstandsgründe für die in einer Strafbehörde tätigen Personen sind in Art. 56 StPO geregelt. Zu den Strafbehörden gehören neben den Gerichten (Art. 13 StPO) die Strafverfolgungsbehörden, darunter die Organe der Staatsanwaltschaft (Art. 12 lit. b StPO). Von den in Art. 56 lit. a-e StPO geregelten besonderen Ausstandsgründen abgesehen (persönliches Interesse an der Strafsache, Vorbefassung in anderer Stellung, persönliche Beziehung zu Parteien usw.), tritt ein Staatsanwalt oder eine Staatsanwältin in den Ausstand, wenn diese Person aus anderen Gründen, insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand, befangen sein könnte (Art. 56 lit. f StPO).
3.2. Will eine Partei den Ausstand einer in einer Strafbehörde tätigen Person verlangen, so hat sie ohne Verzug ein entsprechendes Gesuch zu stellen, sobald sie vom Ausstandsgrund Kenntnis hat; die den Ausstand begründenden Tatsachen sind glaubhaft zu machen (Art. 58 Abs. 1 StPO). Nach der Praxis des Bundesgerichtes sind Ausstandsgründe in der Regel innert etwa einer Woche geltend zu machen; ein Zuwarten während zwei oder mehr Wochen ist hingegen nicht zulässig (Urteile 7B_517/2023 vom 8. Februar 2024 E. 3.6; 1B_567/2022 vom 12. Juni 2023 E. 4.1; 1B_266/2021 vom 25. August 2021 E. 2; 1B_180/2021 vom 10. Mai 2021 E. 2.1; 1B_98/2020 vom 26. November 2020 E. 2.2; 1B_29/2020 vom 11. September 2020 E. 2.1; 1B_496/2019 vom 28. Februar 2020 E. 3.3; 1B_149/2019 vom 3. September 2019 E. 2.3; 1B_76/2019 vom 2. Mai 2019 E. 2.2; je mit Hinweisen). Wer einen Ausstandsgrund gegen eine Justizperson kennt, diesen aber nicht unverzüglich, sondern aus prozesstaktischen Gründen erst später geltend macht, etwa bei ungünstigem Verlauf des Verfahrens, verstösst gegen Treu und Glauben und verwirkt grundsätzlich seinen Anspruch, sich auf den Ausstandsgrund berufen zu können (BGE 121 I 225 E. 3; zit. Urteile 7B_517/2023 E. 3.6; 1B_266/2021 E. 2; 1B_180/2021 E. 2.1; Urteil 1B_647/2020 vom 20. Mai 2021 E. 2; s.a. BGE 143 V 66 E. 4.3 mit Hinweisen).
3.3. Eine Befangenheit des staatsanwaltlichen Untersuchungsleiters (Art. 56 lit. f StPO; s.a. Art. 29 Abs. 1 BV) ist nach der Praxis des Bundesgerichtes nicht leichthin anzunehmen. Zu bejahen ist sie, wenn nach objektiver Betrachtung besonders krasse oder ungewöhnlich häufige Fehlleistungen vorliegen, welche bei gesamthafter Würdigung eine schwere Verletzung der Amtspflichten darstellen und sich einseitig zulasten einer der Prozessparteien auswirken (BGE 143 IV 69 E. 3.2; 141 IV 178 E. 3.2.3; 138 IV 142 E. 2.3; 125 I 119 E. 3e; 115 Ia 400 E. 3b; Urteile 7B_299/2023 vom 29. Februar 2024 E. 3.2; 1B_567/2022 vom 12. Juni 2023 E. 4.2; 1B_118/2021 vom 13. Juli 2021 E. 3.2; 1B_149/2019 vom 3. September 2019 E. 2.2; 1B_535/2018 vom 16. April 2019 E. 3; je mit Hinweisen). Diesbezüglich sind primär die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel gegen beanstandete Verfahrenshandlungen auszuschöpfen (vgl. BGE 143 IV 69 E. 3.2; 114 Ia 153 E. 3b/bb; je mit Hinweisen).
4.
Als willkürlich bzw. krassen Prozessfehler des Beschwerdegegners kritisiert der Beschwerdeführer primär die Ausweitung der Strafuntersuchung wegen falscher Anschuldigung auf seinen Rechtsvertreter. Unbestrittenermassen wurde ihm die betreffende Verfügung am 24. Januar 2020 eröffnet. Das Ausstandsgesuch vom 28. Februar 2023 erweist sich diesbezüglich als offensichtlich verspätet. Es kann offenbleiben, ob sich (erst) aus dem Entscheid vom 9. Januar 2023 der Anwaltskommission des Kantons Aargau ein angeblicher Verfahrensfehler des Beschwerdegegners ableiten liesse, welcher (im Sinne der einschlägigen Praxis des Bundesgerichtes) bei der Prüfung der Rechtzeitigkeit des Ausstandsgesuches ausnahmsweise noch mitzuberücksichtigen wäre (vgl. Urteile 1B_265/2021 vom 9. September 2021 E. 3; 1B_118/2020 vom 27. Juli 2020 E. 3.2; 1B_149/2019 vom 3. September 2019 E. 3.2; je mit Hinweisen). Selbst wenn der Entscheid vom 9. Januar 2023 der Anwaltskommission auch noch mitzuberücksichtigen wäre, wie der Beschwerdeführer vorinstanzlich argumentiert hat, wäre das erst am 28. Februar 2023 erhobene Ausstandsgesuch auch diesbezüglich deutlich verspätet (vgl. oben, E. 3.2). Willkürliche Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz sind in diesem Zusammenhang nicht dargetan (vgl. Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 105 Abs. 1 BGG)
Weitere Untersuchungshandlungen oder Verfügungen des Beschwerdegegners sind bei der Prüfung der Rechtzeitigkeit des Ausstandsgesuches nicht zusätzlich (und ausnahmsweise) mitzuberücksichtigen. Die Vorinstanz stellt willkürfrei fest, dass der Beschwerdeführer nicht substanziiert hat, inwiefern im Zusammenhang mit der Übernahmeverfügung vom 15. Februar 2023 ein Verfahrensfehler oder sonstwie ein nachvollziehbarer Ausstandsgrund ersichtlich wäre. Der Beschwerdeführer legt solches auch im Verfahren vor Bundesgericht nicht nachvollziehbar dar (vgl. Art. 42 Abs. 2 Satz 1 BGG). Auf unzulässige Noven, die sich überdies auf Verfahrenshandlungen zwischen Januar und Dezember 2020 beziehen, ist nicht einzutreten (Art. 99 Abs. 1 BGG).
Das Nichteintreten der Vorinstanz auf das deutlich verspätete Ausstandsbegehren hält vor dem Bundesrecht stand.
5.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen (Art. 68 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie eingetreten wird.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 13. März 2024
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Abrecht
Der Gerichtsschreiber: Forster