7B_133/2023 27.06.2024
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
7B_133/2023
Urteil vom 27. Juni 2024
II. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Abrecht, Präsident,
Bundesrichter Hurni, Kölz,
Gerichtsschreiber Eschle.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Julian Burkhalter,
Beschwerdeführerin,
gegen
1. Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, Leitender Oberstaatsanwalt,
An der Aa 4, 6300 Zug,
2. B.________,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Unbefugtes Aufnehmen von Gesprächen
(Art. 179ter StGB); Strafantrag; Willkür,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Zug, Strafabteilung,
vom 5. Dezember 2022 (S 2022 44).
Sachverhalt:
A.
A.________ wird vorgeworfen, zu mehreren Zeitpunkten im Januar und Februar 2018 private Gespräche zwischen ihr und B.________ ohne dessen Einwilligung aufgezeichnet zu haben. Das letzte Gespräch soll sie am 18. März 2018 aufgenommen haben.
B.
Das Strafgericht des Kantons Zug verurteilte A.________ am 1. September 2022 wegen mehrfachen unbefugten Aufnehmens von Gesprächen (Art. 179ter StGB) zu einer bedingten Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je Fr. 30.--. Bezüglich des Vorwurfs der unbefugten Aufnahme eines Gesprächs am 27. Januar 2018 stellte es das Verfahren zufolge fehlenden Strafantrags ein.
Mit Urteil vom 5. Dezember 2022 wies das Obergericht des Kantons Zug die Berufung von A.________ ab und bestätigte den erstinstanzlichen Schuldspruch sowie die dafür ausgefällte Strafe.
C.
A.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht. Sie beantragt, das Urteil des Obergerichts vom 5. Dezember 2022 sei aufzuheben, sie sei von Schuld und Strafe freizusprechen und ihrem Verteidiger sei für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren eine Entschädigung zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache zur neuen Begründung und Entscheidung an das Obergericht zurückzuweisen. A.________ ersucht für das bundesgerichtliche Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
Mit Verfügung vom 8. Februar 2023 wies die Präsidentin der damals zuständigen Strafrechtlichen Abteilung das Gesuch um aufschiebende Wirkung ab.
Am 31. August 2023 ist den Verfahrensbeteiligten mitgeteilt worden, dass die Beschwerde aufgrund einer internen Reorganisation des Bundesgerichts nun durch die II. strafrechtliche Abteilung behandelt wird.
Es wurden die kantonalen Akten, nicht aber Vernehmlassungen eingeholt.
Erwägungen:
1.
Angefochten ist ein Endentscheid (Art. 90 BGG) in Strafsachen einer letzten kantonalen Instanz, die als oberes Gericht auf Berufung hin geurteilt hat (Art. 80 BGG). Die Beschwerdeführerin ist zur Beschwerde legitimiert (Art. 81 Abs. 1 lit. a und lit. b Ziff. 1 BGG) und hat die Beschwerdefrist eingehalten (Art. 100 Abs. 1 BGG). Unter Vorbehalt rechtsgenüglicher Begründung (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG) ist die Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 78 ff. BGG grundsätzlich zulässig.
2.
2.1. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 30 ff. StGB sowie eine offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhalts. Die damalige amtliche Verteidigerin des Beschwerdegegners 2 sei nicht dazu bevollmächtigt gewesen, einen Strafantrag zu stellen. Es sei deshalb nicht möglich, sie (die Beschwerdeführerin) wegen unbefugten Aufnehmens fremder Gespräche (Art. 179ter StGB) zu verurteilen.
2.2.
2.2.1. Das Bundesgericht ist als oberste Recht sprechende Behörde (Art. 1 Abs. 1 BGG) keine strafrechtliche Berufungsinstanz, die eine freie Prüfung in tatsächlicher Hinsicht vornimmt oder die vorinstanzliche Beweiswürdigung mit freier Kognition überprüft (BGE 148 IV 409 E. 2.2; 145 IV 154 E. 1.1; 140 III 264 E. 2.3). Es legt seinem Urteil vielmehr den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann die Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). Eine Sachverhaltsfeststellung gilt als "offensichtlich unrichtig" im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG in Verbindung mit Art. 9 BV, wenn sie sich als schlechterdings unhaltbar und damit als willkürlich erweist (BGE 148 IV 39 E. 2.3.5, 356 E. 2.1; 147 IV 73 E. 4.1.2; je mit Hinweisen).
2.2.2. Beim Tatbestand des unbefugten Aufnehmens von Gesprächen (Art. 179ter StGB) handelt es sich um ein Antragsdelikt. Ist eine Tat nur auf Antrag strafbar, so kann jede Person, die durch sie verletzt worden ist, die Bestrafung des Täters beantragen (Art. 30 Abs. 1 StGB). Zum Strafantrag berechtigt ist jene Person, die durch die Straftat in ihren Rechten unmittelbar verletzt worden ist (Art. 115 Abs. 1 StPO). Nach Art. 304 Abs. 1 StPO ist der Strafantrag bei der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder der Übertretungsstrafbehörde schriftlich einzureichen oder mündlich zu Protokoll zu geben (vgl. dazu BGE 145 IV 190 E. 1.3-1.4).
2.2.3. Das Recht, Strafantrag zu stellen, ist grundsätzlich höchstpersönlicher Natur und unübertragbar (BGE 141 IV 380 E. 2.3.4 S. 387; Urteil 6B_1423/2019 vom 26. Oktober 2020 E. 1.3; je mit Hinweis). Daraus folgt aber nicht, dass das Antragsrecht nicht auch von einem Vertreter ausgeübt werden könnte (Vertretung in der Erklärung). Hierfür genügt auch die Erteilung einer generellen Vollmacht. Einem bevollmächtigten Vertreter kann die Befugnis eingeräumt werden, die Willenserklärung abzugeben. Für die Verletzung materieller Rechtsgüter, die nicht direkt von der Person des Berechtigten abhängen, sondern etwa vom Inhalt einer vertraglichen Beziehung (z.B. bei Hausfriedensbruch), kann dem Vertreter durch eine generelle Ermächtigung die Entscheidung überlassen werden, ob er Strafantrag erheben will (Vertretung im Willen; BGE 122 IV 207 E. 3c; Urteil 6B_295/2020 vom 22. Juli 2020 E. 1.4.3). Einer speziellen, auf den konkreten Fall zugeschnittenen ausdrücklichen oder konkludenten Ermächtigung bedarf der Bevollmächtigte nur bei Verletzung höchstpersönlicher immaterieller Rechtsgüter, die dem Berechtigten naturgemäss innewohnen oder von ihrem Status herrühren, wie Leib und Leben, Ehre, persönliche Freiheit sowie Eheschliessung und Kindesverhältnis (BGE 122 IV 207 E. 3c; Urteile 6B_995/2017 vom 4. Juli 2018 E. 1.5; 6B_334/2012 vom 26. September 2012 E. 2.2; je mit Hinweisen).
Bei Fehlen einer schriftlichen Vollmacht ist nur, aber immerhin zu verlangen, dass sich aus den individuell-konkreten Umständen eine eindeutige Willenserklärung ergibt (Urteil 6B_1423/2019 vom 26. Oktober 2020 E. 1.7.2 mit Hinweis).
2.3. In tatsächlicher Hinsicht stellt die Vorinstanz fest, dass der Beschwerdegegner 2 zum Zeitpunkt der Antragsstellung selbst Beschuldigter in einem Strafverfahren war, in dem die Beschwerdeführerin als Privatklägerin agierte. Anlässlich einer Einvernahme als Beschuldigter hätten er und seine damalige amtliche Verteidigerin am 16. April 2019 Kenntnis von den inkriminierten Audio-Aufnahmen erhalten. Die Verteidigerin habe schon am 15. Juli 2019 schriftlich einen Strafantrag gegen die Beschwerdeführerin gestellt. Aufgrund verschiedener Anhaltspunkte geht die Vorinstanz davon aus, dass der Beschwerdegegner 2 seiner amtlichen Verteidigerin die Ermächtigung dazu spätestens bei einem Telefongespräch am selben Tag mündlich erteilt hatte.
2.4. Diese Schlussfolgerung ist nicht schlechterdings unhaltbar: Die Vorinstanz berücksichtigt zunächst, dass die Anwältin im Schreiben vom 15. Juli 2019 die Formulierung "wir" verwendet ("stellen wir hiermit Strafantrag") und sie das Schreiben in Kopie auch dem Beschwerdegegner 2 zugestellt hat. Bereits diese Umstände legen nahe, dass sie sich im Vornherein mit ihrem Klienten über die Antragsstellung abgesprochen haben muss. Sodann trägt die Vorinstanz dem Umstand Rechnung, dass die amtliche Verteidigerin in ihrer Honorarnote im Strafverfahren gegen den Beschwerdegegner 2 aufführte, im Anschluss an die Einvernahme vom 16. April 2019 eine Nachbesprechung und am 15. Juli 2019 - am Tag, an dem sie den Strafantrag gestellt hatte - ein Telefongespräch mit diesem geführt zu haben. Obwohl es nicht völlig ausgeschlossen ist, dass die amtliche Verteidigerin eigenmächtig handelte, ohne sich mit dem Beschwerdegegner 2 abgesprochen zu haben, lässt sich aus diesen Indizien willkürfrei der Schluss ziehen, dieser habe sie zur Strafantragstellung vorgängig mündlich oder konkludent ermächtigt.
Der Umstand, dass die Rechtsvertreterin des Beschwerdegegners 2 den Aufwand für die gemeinsamen Besprechungen im Strafverfahren gegen diesen als Teil des amtlichen Mandats abgerechnet hat, steht dieser Schlussfolgerung, anders als die Beschwerdeführerin vorträgt, nicht entgegen. Im Gegenteil: Wie die Vorinstanz zu Recht ausführt, konnte das Stellen eines Strafantrags gegen die Beschwerdeführerin auch der Interessenwahrung im gegen den Beschwerdegegner 2 laufenden Strafverfahren dienen, wo die durch (möglicherweise) strafbares Verhalten gewonnenen Aufzeichnungen von privaten Gesprächen (potenziell unverwertbare) Beweismittel darstellen konnten. Ob bereits das amtliche Mandat die generelle Ermächtigung zur Ausübung des Antragsrechts umfasst, braucht aufgrund der willkürfrei festgestellten konkreten Ermächtigung nicht erörtert zu werden. Soweit die Beschwerdeführerin im Übrigen einwendet, es hätte eine "explizite Vollmacht" beigebracht werden müssen, übersieht sie, dass die Ermächtigung, um stellvertretend für den Berechtigten einen Strafantrag zu stellen, nach der Rechtsprechung keiner Formvorschrift unterliegt und damit dem Bevollmächtigten weder schriftlich noch sonst wie ausdrücklich erteilt werden muss (vgl. E. 2.2.3 hiervor).
2.5. Die Auffassung der Vorinstanz, es habe ein gültiger Strafantrag vorgelegen, erweist sich als bundesrechtskonform.
3.
Nicht einzugehen ist auf das Begehren der Beschwerdeführerin um Entschädigung ihres Verteidigers für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren, für das sich in der Beschwerdeschrift keine Begründung findet (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG).
4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ihr Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist abzuweisen, da ihre Rechtsbegehren von vornherein aussichtslos waren (Art. 64 Abs. 1 BGG). Den finanziellen Verhältnissen der Beschwerdeführerin ist bei der Kostenfestsetzung Rechnung zu tragen (vgl. Art. 65 Abs. 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zug, Strafabteilung, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 27. Juni 2024
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Abrecht
Der Gerichtsschreiber: Eschle