7B_804/2024 22.08.2024
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
7B_804/2024
Urteil vom 22. August 2024
II. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Abrecht, Präsident,
Bundesrichter Hurni, Kölz,
Gerichtsschreiber Schurtenberger.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Carmen Emmenegger,
Beschwerdeführer,
gegen
Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland, Zweigstelle Flughafen, Prime Center 1, 7. Stock,
Postfach, 8058 Zürich,
Gegenstand
Untersuchungshaft,
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 11. Juli 2024 (UB240100-O/U/BEE>PFE).
Sachverhalt:
A.
A.a. Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland führt eine Strafuntersuchung gegen A.________ wegen mehrfacher einfacher Körperverletzung, mehrfacher Drohung und weiterer Delikte. Sie wirft ihm insbesondere vor, einen Bekannten an seinem Wohnort abgepasst, ihm unter Behändigung eines Pfeffersprays mehrfach mit einer Thermosflasche gegen den Kopf geschlagen sowie ihm schliesslich mit der geöffneten Klinge eines Korkenziehers gedroht und ihm dabei gesagt zu haben, er werde ihn stechen und umbringen. A.________ wurde am 26. September 2023 verhaftet, mit Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts des Bezirks Bülach vom 29. September 2023 in Untersuchungshaft versetzt und befindet sich seither in Haft.
A.b. Die Untersuchungshaft wurde mit Verfügung vom 22. Dezember 2023 durch das Zwangsmassnahmengericht bis zum 22. März 2024 verlängert. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, mit Beschluss vom 25. Januar 2024 ab. Mit Urteil 7B_252/2024 vom 18. März 2024 hiess das Bundesgericht die von A.________ dagegen erhobene Beschwerde gut, hob den Beschluss der Obergerichts vom 25. Januar 2024 auf und wies die Sache zu neuer Entscheidung an das Obergericht zurück. Mit Beschluss vom 27. März 2024 wies das Obergericht die Beschwerde erneut ab. Auf die dagegen erhobene Beschwerde trat das Bundesgericht mit Urteil 7B_529/2024 vom 14. Mai 2024 nicht ein, da die Rechtsmittelfrist nicht eingehalten worden war.
B.
Anlässlich der am 28. Mai 2024 durchgeführten Schlusseinvernahme ersuchte A.________ um Entlassung aus der Haft. Mit Entscheid vom 6. Juni 2024 wies das Zwangsmassnahmengericht das Haftentlassungsgesuch ab. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht mit Beschluss vom 11. Juli 2024 ebenfalls ab.
C.
Mit Eingabe vom 19. Juli 2024 erhob A.________ beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, den Beschluss des Obergerichts vom 11. Juli 2024 aufzuheben und ihn aus der Untersuchungs- respektive Sicherheitshaft zu entlassen. Eventualiter beantragt er seine Entlassung aus der Haft unter der Anordnung mehrerer spezifischer Ersatzmassnahmen. "Subeventualiter" ersucht er um Entlassung aus der Haft aufgrund drohender Überhaft. Schliesslich beantragt er die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung für das bundesgerichtliche Beschwerdeverfahren.
Die Vorinstanz verzichtete auf eine Vernehmlassung. Mit Schreiben vom 30. Juli 2024 reichte die Staatsanwaltschaft eine Stellungnahme ein und beantragte die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen:
1.
Der angefochtene kantonal letztinstanzliche Entscheid betrifft die Beurteilung eines Gesuchs um Entlassung aus der Untersuchungshaft (Art. 228 StPO). Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 ff. BGG offen. Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und befindet sich, soweit aus den Akten ersichtlich, nach wie vor in Haft. Er ist deshalb nach Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt, weshalb auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten ist.
2.
Gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Begründung in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Der Beschwerdeführer muss sich wenigstens kurz mit den Erwägungen des angefochtenen Entscheids auseinandersetzen. Rein appellatorische Kritik ohne Bezug zum angefochtenen Entscheid genügt nicht. Zwar wendet das Bundesgericht das Recht grundsätzlich von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Das setzt aber voraus, dass auf die Beschwerde überhaupt eingetreten werden kann, diese also die Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 BGG erfüllt. Das Bundesgericht prüft nur klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen. Für die Rüge der Verletzung von Grundrechten gelten qualifizierte Rügeanforderungen (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf ungenügend begründete Rügen tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 148 IV 205 E. 2.6; 147 IV 73 E. 4.1.2; 138 I 171 E. 1.4; statt vieler Urteil 7B_146/2023 vom 11. Juli 2023 E. 1.3).
Enthält ein Entscheid mehrere Begründungen, die je für sich den Ausgang der Sache besiegeln, so hat der Beschwerdeführer darzulegen, dass jede von ihnen Recht verletzt; andernfalls kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden (BGE 149 III 318 E. 3.1.3; 139 III 536 E. 2.2; 133 IV 119 E. 6.3; je mit Hinweisen).
3.
Nach Art. 221 StPO sind Untersuchungs- und Sicherheitshaft unter anderem zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie durch Verbrechen oder schwere Vergehen die Sicherheit anderer unmittelbar erheblich gefährdet, nachdem sie bereits früher gleichartige Straftaten verübt hat (Abs. 1 lit. c; sog. Wiederholungsgefahr). Zulässig ist die Haft sodann, wenn die ernsthafte und unmittelbare Gefahr besteht, eine Person werde ihre Drohung, ein schweres Verbrechen auszuführen, wahrmachen (Abs. 2; sog. Ausführungsgefahr).
Die Vorinstanz bejaht das Vorliegen von Ausführungsgefahr. Darüber hinaus hält sie im Rahmen eines "nicht entscheidtragenden obiter dictums" fest, es sei auch Wiederholungsgefahr gegeben.
4.
Der Beschwerdeführer rügt, die Voraussetzungen für die Annahme von Ausführungsgefahr seien nicht erfüllt.
4.1. Die Vorinstanz erwägt hinsichtlich des besonderen Haftgrunds der Ausführungsgefahr insbesondere, sie habe gestützt auf die gutachterliche Vorabstellungnahme vom 12. Januar 2024 bereits mit Entscheid vom 27. März 2024 festgehalten, es bestehe die ernsthafte und unmittelbare Gefahr, der Beschwerdeführer könnte seine geäusserte Drohung wahrmachen, B.________ zu töten. An dieser Einschätzung - so die Vorinstanz - habe sich nichts geändert, zumal die Gutachterin ihre damalige Risikoeinschätzung im vollständigen Gutachten vom 8. April 2024 nicht revidiere, sondern vielmehr zum Ergebnis gelange, ohne Behandlung und Verbesserung der Schizophrenie liege nach wie vor eine "anhaltende Fixierung" gegenüber B.________ nahe. Somit bestehe weiterhin Ausführungsgefahr hinsichtlich der gegenüber B.________ geäusserten Todesdrohung, solange der Beschwerdeführer nicht wirksam behandelt werde.
Darüber hinaus erwägt die Vorinstanz, entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers sei durchaus auch zu berücksichtigen, dass "er auch für Dritte eine Gefahr darstelle, gegenüber denen er bisher keine konkreten Drohungen geäussert [habe]". Sie hält diesbezüglich im Ergebnis fest, es sei auch von Ausführungsgefahr "in Bezug auf weitere potentielle Opfer auszugehen".
4.2. Der Beschwerdeführer wendet sich vor Bundesgericht einzig substanziiert gegen die von der Vorinstanz - im Sinne einer Eventualbegründung - festgestellte Ausführungsgefahr gegenüber Dritten. Er kritisiert, diesbezüglich fehle es an "der der Ausführungsgefahr immanente[n] Verbindung zwischen einem angedrohten schweren Verbrechen und einer schlechten Legalprognose". Demgegenüber setzt er sich mit der eingehenden Hauptbegründung der Vorinstanz, es bestehe die Gefahr, er könnte seine Drohung wahrmachen, B.________ zu töten, nicht in einer Weise auseinander, die den Anforderungen an die Substanziierungspflicht im bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahren gerecht wird. Die vorinstanzliche Feststellung, es bestehe Ausführungsgefahr, ist für das Bundesgericht daher verbindlich und im vorliegenden Verfahren nicht weiter zu prüfen (siehe E. 2 hiervor).
5.
Der Beschwerdeführer rügt weiter, die Anordnung von Untersuchungshaft erweise sich nicht als verhältnismässig, da die Anordnung von Ersatzmassnahmen möglich wäre.
5.1. Strafprozessuale Haft darf nur als "ultima ratio" angeordnet oder aufrechterhalten werden. Wo sie durch weniger einschneidende Massnahmen ersetzt werden kann, muss von ihrer Anordnung oder Fortdauer abgesehen und an ihrer Stelle eine solche Ersatzmassnahme verfügt werden (Art. 212 Abs. 2 lit. c und Art. 237 f. StPO; vgl. BGE 145 IV 503 E. 3.1; 142 IV 367 E. 2.1; 140 IV 74 E. 2.2).
5.2. Die Vorinstanz hält zusammengefasst fest, wie bereits im Beschluss vom 27. März 2024 dargelegt, mangle es beim Beschwerdeführer an einer hinreichenden Krankheitseinsicht, woran sich in der Zwischenzeit auch nichts Grundlegendes geändert habe. Er leide gemäss Gutachten an paranoider Schizophrenie und damit an einer schweren psychischen Krankheit. Wohl sei es sein gutes Recht, diese Diagnose in Zweifel zu ziehen. Dies ändere aber nichts daran, dass die gutachterlichen Feststellungen, jedenfalls nach der im vorliegenden Haftprüfungsverfahren gebotenen nur summarischen Beurteilung, schlüssig und nachvollziehbar begründet seien und kein Grund bestehe, sie in Zweifel zu ziehen. Daher sei der Ansicht der Gutachterin zu folgen, wonach die Voraussetzungen für das Gelingen einer ambulanten Therapie in Freiheit vorliegend nicht gegeben seien, da es an der erforderlichen guten Krankheitseinsicht und Therapiemotivation mangle. Erfolgsversprechend sei nur ein zumindest zu Beginn stationäres Behandlungssetting. Zum heutigen Zeitpunkt sei die Anordnung von Ersatzmassnahmen daher nicht möglich und weiterhin die Aufrechterhaltung der Haft erforderlich.
5.3. Der Beschwerdeführer bringt dagegen vor, seine "Zweifel an der Richtigkeit des Gutachtens" seien "durchaus angebracht und verständlich". Dies begründet er indessen einzig mit der Dauer des Explorationsgesprächs von "nur gerade zwei Stunden" sowie den scheinbar abweichenden (aber vor Bundesgericht nicht weiter dargelegten) Ansichten des Psychiaters, bei welchem er seit Juni 2024 in die wöchentliche Gesprächsstunde gehe. Diese pauschalen Vorbringen sind nicht geeignet, die vorinstanzliche Würdigung des Gutachtens in Frage zu stellen, die vom Bundesgericht nur unter Willkürgesichtspunkten geprüft wird (statt vieler Urteil 7B_368/2023 vom 18. April 2024 E. 2.3.2 mit Hinweisen).
Darüber hinaus verhält sich der Beschwerdeführer widersprüchlich, wenn er einerseits die Richtigkeit des Gutachtens in Frage stellt, sich andererseits aber selbst darauf beruft. So zitiert er aus dem (bloss ausschnittweise als Beschwerdebeilage eingereichten) Gutachten und behauptet, dieses sehe "also eine ambulante Therapie ebenfalls als mögliche Behandlungsweise der psychischen Erkrankung des Beschwerdeführers" bzw. es werde "von einer solchen nicht abgeraten". Diese Behauptung wird jedoch dadurch entkräftet, dass im (in den Vorakten vollständig enthaltenen) Gutachten ausdrücklich Folgendes festgehalten ist: "Eine ambulante Massnahme erscheint derzeit aber (noch) nicht ausreichend, da im Moment noch ein intensiver Behandlungsbedarf einschliesslich medikamentöser Einstellung besteht und bei mangelhafter Behandlungsbereitschaft des Expl., die Kontroll- und Interventionsmöglichkeiten im ambulanten Rahmen ungenügend wären."
6.
Der Beschwerdeführer rügt schliesslich, die Haft erweise sich auch deshalb als unverhältnismässig, weil ihm Überhaft drohe.
6.1. Die Vorinstanz erwägt zusammengefasst, Haft wegen Ausführungsgefahr gemäss Art. 221 Abs. 2 StPO setze weder den dringenden Tatverdacht einer Straftat noch überhaupt ein Strafverfahren voraus. Auch wenn gegen den Beschuldigten vorliegend eine Untersuchung geführt werde, werde die zur Diskussion stehende Haft nicht damit begründet, dass sie erforderlich wäre, um den geordneten Gang des Strafverfahrens sicherzustellen. Vielmehr handle es sich um eine reine Präventivhaft, die künftige Delikte verhindern soll. Letzteres stelle das öffentliche Interesse dar, das die Haft rechtfertige, und daran habe sich demzufolge auch der mit ihr einhergehende Grundrechtseingriff zu messen. Das Abstellen auf die drohende Sanktion wäre daher sachfremd. Vorliegend überwiege das Interesse, drohende Straftaten zu verhindern, das private Interesse des Beschuldigten, bis zu einem rechtskräftigen Urteil in Freiheit zu bleiben. Die Aufrechterhaltung der Haft sei daher weiterhin zumutbar, auch wenn diese im vorliegenden Strafverfahren bereits rund zehn Monate andauere.
Im Sinne einer Eventualbegründung hält die Vorinstanz sodann fest, die Aufrechterhaltung der Haft sei auch dann als zumutbar zu qualifizieren, wenn auf die drohende therapeutische Massnahme abgestellt würde. Angesichts der drohenden Delikte und der gutachterlichen Empfehlung erscheine es aus heutiger Sicht wahrscheinlich, dass eine therapeutische Massnahme in stationärer Form angeordnet werde. Dass gemäss Gutachten nach einer mindestens mehrmonatigen stationären Behandlung ein Wechsel in ein ambulantes Setting denkbar sei, sei dagegen nicht massgebend. Dies sei jedenfalls solange nicht relevant, wie die stationäre Behandlung nicht angetreten werde, zumal derzeit auch keinerlei Motivation des Beschuldigten für eine solche umfassende stationäre Therapie bestehe.
6.2. Der Beschwerdeführer setzt sich nicht mit der Hauptbegründung der Vorinstanz zur Verhältnismässigkeit der Haft auseinander, sondern erachtet es vielmehr als willkürlich, dass die Vorinstanz (in ihrer Eventualbegründung) davon ausgehe, "es werde eine stationäre Massnahme angeordnet". Damit kommt er seiner Begründungspflicht gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG nicht hinreichend nach, weshalb auch auf seine Rügen betreffend die Eventualbegründung der Vorinstanz nicht einzugehen ist (siehe E. 2).
7.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Der Beschwerdeführer beantragt die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung für das Verfahren vor Bundesgericht. Deren Gewährung setzt jedoch insbesondere voraus, dass die gestellten Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheinen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Die Beschwerde des anwaltlich vertretenen Beschwerdeführers erfüllt indessen über weite Strecken die Anforderungen gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG an die Begründungspflicht nicht, weshalb sein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde abzuweisen ist. Angesichts der Gesamtumstände rechtfertigt es sich indessen, ausnahmsweise auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (Art. 64 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
2.
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren wird abgewiesen.
3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland, dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, und dem Bezirksgericht Bülach, Zwangsmassnahmengericht, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 22. August 2024
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Abrecht
Der Gerichtsschreiber: Schurtenberger