8C_524/2023 07.08.2024
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
8C_524/2023
Urteil vom 7. August 2024
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Wirthlin, Präsident,
Bundesrichter Maillard,
Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Durizzo.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Advokatin Elisabeth Maier,
Beschwerdeführerin,
gegen
Helsana Unfall AG,
Recht & Compliance, Postfach, 8081 Zürich,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Unfallversicherung
(Berufskrankheit; Kausalzusammenhang),
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 29. März 2023 (UV.2022.21).
Sachverhalt:
A.
A.________, geboren 1976, war bei der Klinik B.________ als Psychiaterin mit der Funktion einer Oberärztin beschäftigt und dadurch bei der Helsana Unfall AG (nachfolgend: Helsana) gegen die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen sowie Berufskrankheiten versichert. Am 30. März 2020 meldete die Arbeitgeberin, dass sich A.________ in der Klinik bei einem Patienten mit dem Covid-19-Virus angesteckt habe. Sie war am 26. März 2020 positiv getestet worden und anschliessend bis 12. April 2020 arbeitsunfähig. Die Helsana erbrachte die gesetzlichen Leistungen.
Im Januar 2021 meldete A.________ einen Rückfall. Gemäss den Berichten der Hausärztin Dr. med. C.________, Allgemeine Innere Medizin FMH, vom 11. Januar 2021 sowie des Spitals D.________ vom 28. Januar, 12. März, 29. April und 17. November 2021 klagte sie über kardiologische, pneumologische und kognitive Beschwerden sowie eine Fatigue-Symptomatik. Mit Verfügung vom 24. August 2021 und Einspracheentscheid vom 7. Juni 2022 lehnte die Helsana eine Leistungspflicht für die geltend gemachte Long-Covid-Erkrankung ab.
B.
Die dagegen von A.________ erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt mit Urteil vom 29. März 2023 ab.
C.
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils seien ihr die gesetzlichen Leistungen zuzusprechen, eventuell sei die Sache zu weiteren Abklärungen an die Vorinstanz oder an die Helsana zurückzuweisen.
Die Helsana schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 mit Hinweisen).
1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).
2.
Streitig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie eine Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin für die geltend gemachte Long-Covid-Erkrankung als Berufskrankheit verneinte.
3.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über die Leistungspflicht des Unfallversicherers bei Berufskrankheiten (Art. 9 UVG; BGE 114 V 109 E. 3; vgl. ferner BGE 133 V 421 E. 4.1; 117 V 354 E. 2a; RKUV 1988 Nr. U 61 S. 447 E. 1; Urteil 8C_420/2007 vom 29. Januar 2008 E. 4.2) und insbesondere bei arbeitsbedingten Infektionskrankheiten mit Ansteckung in einem Spital oder Laboratorium oder in einer Versuchsanstalt gemäss der Doppelliste von Ziff. 2 lit. b des Anhangs 1 zur UVV zutreffend dargelegt. Es wird darauf verwiesen. Gleiches gilt hinsichtlich der Empfehlung Nr. 1/2003 der Ad-hoc-Kommission Schaden UVG vom 22. Mai 2003 in der revidierten Fassung vom 23. Dezember 2020, wonach es für die Haftung bei einer Covid-19-Erkrankung einer berufsbedingten Exposition, das heisst einer Arbeit mit infizierten Patienten oder mit einer stark infizierten/infizierenden oder kontaminierten Umgebung bedarf. Es ist daran zu erinnern, dass die Empfehlungen der Ad-hoc-Kommission Schaden UVG für das Bundesgericht nicht verbindlich sind (BGE 114 V 315 E. 5c; 146 V 74 E. 5.3.11; Urteil 8C_207/2010 vom 31. Mai 2010 E. 3.3.3).
Zu ergänzen ist, dass eine Leistungseinstellung für die Zukunft (ex nunc et pro futuro) ohne Berufung auf einen Wiedererwägungs- oder Revisionsgrund zulässig ist, sofern keine Rückforderung bereits ausgerichteter Leistungen zur Diskussion steht und es nicht um Dauerleistungen geht (BGE 130 V 380 E. 2.3; in BGE 136 V 2 nicht publ. E. 5.1 des Urteils 8C_444/2009 vom 11. Januar 2010; Urteil 8C_1019/2009 vom 26. Mai 2010 E. 4.2).
4.
4.1. Die Vorinstanz stellte fest, die Beschwerdeführerin sei in einer Privatklinik für Psychosomatik, Psychiatrie und Psychotherapie beschäftigt. Im Kerntätigkeitsbereich der Klinik würden psychotherapeutische und psychiatrische Gesprächstherapien angeboten. Dabei bestehe kein physischer Patientenkontakt, sondern es werde körperliche Distanz zwischen der behandelnden und der behandelten Person eingehalten. Das Personal und insbesondere die Beschwerdeführerin sei damit bezüglich der hier zur Frage stehenden Ansteckung mit dem Covid-19-Virus keinem erhöhten Expositionsrisiko ausgesetzt. Die Klinik könne daher nicht als Spital im Sinne der Doppelliste qualifiziert werden. Das kantonale Gericht schloss des Weiteren auch eine Verursachung durch die berufliche Tätigkeit gestützt auf die Generalklausel von Art. 9 Abs. 2 UVG mit mindestens 75%iger Wahrscheinlichkeit einer Infektion am Arbeitsplatz aus, auch wenn sich die Beschwerdeführerin zeitweise im gleichen Gebäude aufgehalten habe wie ein infizierter Patient und im Zeitraum vom 16. bis 27. März 2020 dreizehn weitere Klinikmitarbeitende und Patienten positiv auf das Covid-19-Virus getestet worden seien.
4.2. Die Beschwerdeführerin macht geltend, entgegen der Vorinstanz müsse ihr Arbeitsort als Spital im Sinne der Doppelliste gelten, wobei allenfalls weitere Abklärungen zu tätigen gewesen wären, inwieweit dort neben Gesprächstherapien - mit somatischen Behandlungen wie etwa Massagen, Spritzenverabreichung, ärztlichem Notfalldienst, aber auch Hotellerie - körperlicher Patientenkontakt stattfinde. Die Empfehlung der Ad-hoc-Kommission Schaden UVG mit dem darin vorgesehenen Haftungserfordernis des berufstypischen Risikos dürfe keine Anwendung finden. Schliesslich hätte, so die Beschwerdeführerin, anhand einer Prävalenzberechnung geprüft werden müssen, ob die Erkrankung eher am Arbeitsplatz oder aber im privaten Umfeld erfolgt sei, wobei auf weitere Abklärungen zu ihrem Freizeitverhalten zu Unrecht gänzlich verzichtet worden sei.
5.
5.1. Gemäss dem jüngst ergangenen bundesgerichtlichen Urteil 8C_582/2022 vom 12. Juli 2024 fällt eine Leistungspflicht des Unfallversicherers im Fall einer in einer Klinik tätigen Psychologin ausser Betracht, wenn sie keine akut am Covid-19-Virus erkrankten Patienten betreute. Das Bundesgericht erwog, dass die Zusammenhangsfrage - entsprechend dem Wortlaut der Doppelliste von Ziff. 2 lit. b des Anhangs 1 zur UVV - vom Verordnungsgeber aufgrund arbeitsmedizinischer Erkenntnisse vorentschieden ist. Es besteht in beweisrechtlicher Hinsicht praxisgemäss (unter Vorbehalt des schlüssigen Gegenbeweises) die natürliche Vermutung, dass eine Berufskrankheit vorliege, wenn eine der dort aufgelisteten Krankheiten aufgetreten ist und der Versicherte die entsprechende im UVV-Anhang umschriebene Tätigkeit verrichtet. Die Vermutung, dass eine Infektionskrankheit durch die Arbeit im Spital verursacht worden sei, rechtfertigt sich indessen nur dann, wenn es sich dabei um eine Tätigkeit mit dem spezifischen Risiko des vom Verordnungsgeber als gesundheitsgefährdend definierten Arbeitsplatzes handelt. Nicht jegliche Tätigkeit in einem Spital oder Laboratorium oder in einer Versuchsanstalt kann somit als gesundheitsgefährdend gelten (Urteil 8C_582/2022 vom 12. Juli 2024 E. 4, insb. E. 4.6 mit Hinweisen, zur Publikation vorgesehen).
5.2. Unbestrittenerweise war die Beschwerdeführerin als Psychiaterin beziehungsweise auch in ihrer Funktion als Oberärztin nicht mit der Pflege von akut am Covid-19-Virus erkrankten Patienten beschäftigt. Somit war sie durch ihre Tätigkeit nicht dem spezifischen Ansteckungsrisiko eines gesundheitsgefährdenden Arbeitsplatzes in einem Spital ausgesetzt. Eine Haftung der Beschwerdegegnerin aus Berufskrankheit gestützt auf die Vermutung nach Art. 9 Abs. 1 UVG in Verbindung mit Ziff. 2 lit. b des Anhangs 1 zur UVV fällt somit ausser Betracht. Die Beschwerdeführerin macht sinngemäss geltend, eine Ansteckung in der Klinik sei jedenfalls wahrscheinlicher gewesen als im privaten Umfeld. Weitere Abklärungen und Befragungen zu den Verhältnissen am Arbeitsplatz und im häuslichen Bereich erübrigen sich indessen, nachdem eine Leistungspflicht mangels Tätigkeit an einem gesundheitsgefährdenden und damit schützenswerten Arbeitsplatz fehlt (Urteil 8C_582/2022 vom 12. Juli 2024 E. 4.8). Des Weiteren besteht auch keine Leistungspflicht des Unfallversicherers gestützt auf Art. 9 Abs. 2 UVG (Urteil 8C_582/2022 vom 12. Juli 2024 E. 4.9).
5.3. Dass die Beschwerdegegnerin wegen der ursprünglich erbrachten Leistungen auch für den Rückfall hafte, wird zu Recht nicht geltend gemacht, zumal keine Rückforderung im Raum steht (oben E. 3 a.E.).
5.4. Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet. Das angefochtene Urteil lässt sich im Ergebnis nicht beanstanden.
6.
Die Gerichtskosten werden der unterliegenden Beschwerdeführerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der in ihrem amtlichen Wirkungskreis obsiegenden Beschwerdeführerin steht keine Parteientschädigung zu (Art. 68 Abs. 3 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 7. August 2024
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Wirthlin
Die Gerichtsschreiberin: Durizzo