6B_436/2024 09.09.2024
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
6B_436/2024
Urteil vom 9. September 2024
I. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
Bundesrichter Muschietti,
Bundesrichterin van de Graaf,
Gerichtsschreiberin Andres.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführerin,
gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Güterstrasse 33, Postfach, 8010 Zürich,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Landesverweisung und deren Ausschreibung im Schengener Informationssystem,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 27. Februar 2024 (SB230439-O/U/nk).
Erwägungen:
1.
Das Bezirksgericht Dietikon verurteilte A.________ am 30. März 2023 wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 20 Monaten, verwies sie für fünf Jahre des Landes und ordnete die Ausschreibung der Landesverweisung im Schengener Informationssystem (SIS) an. A.________ erhob Berufung gegen dieses Urteil, beschränkt auf die Landesverweisung und deren Ausschreibung im SIS. In seinem Urteil vom 27. Februar 2024 stellte das Obergericht des Kantons Zürich zunächst die teilweise Rechtskraft des bezirksgerichtlichen Urteils fest und ordnete die Landesverweisung von A.________ für fünf Jahre sowie deren Ausschreibung im SIS an.
Dagegen führt A.________ Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, das obergerichtliche Urteil sei aufzuheben und es sei auf eine Landesverweisung zu verzichten. Ferner ersucht sie darum, der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen, und ihr sei die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
2.
Die Beschwerde ist nach Art. 42 Abs. 2 BGG hinreichend zu begründen, ansonsten darauf nicht eingetreten werden kann. Unerlässlich ist, dass auf die Begründung des angefochtenen Entscheids eingegangen und im Einzelnen aufgezeigt wird, worin eine vom Bundesgericht überprüfbare Rechtsverletzung liegt. Die beschwerdeführende Partei soll in der Beschwerde an das Bundesgericht nicht bloss die Rechtsstandpunkte erneut bekräftigen, die sie im kantonalen Verfahren eingenommen hat, sondern hat mit ihrer Kritik an den als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägungen der Vorinstanz anzusetzen (BGE 148 IV 205 E. 2.6; 146 IV 297 E. 1.2). Für die Anfechtung des von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalts gelten erhöhte Begründungsanforderungen (Art. 106 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht greift in die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung nur ein, wenn diese sich als offensichtlich unrichtig bzw. willkürlich im Sinne von Art. 9 BV erweist (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Willkürrüge muss explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden. Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 148 IV 39 E. 2.3.5; 147 IV 73 E. 4.1.2; je mit Hinweisen).
Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es unter Berücksichtigung der eben dargestellten Begründungspflicht grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 147 I 73 E. 2.1; 145 V 304 E. 1.1). Es ist kein Sachgericht (BGE 145 IV 137 E. 2.8) und keine Appellationsinstanz, vor der die Tatsachen erstmals oder erneut frei diskutiert werden können (BGE 146 IV 297 E. 1.2).
3.
3.1. Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Montenegro und wurde wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz i.S.v. Art. Art. 19 Abs. 1 lit. c und d i.V.m. Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG schuldig gesprochen. Demzufolge sind die Voraussetzungen für eine Landesverweisung gemäss Art. 66a Abs. 1 lit. o StGB grundsätzlich erfüllt.
Von der Anordnung der Landesverweisung kann nur "ausnahmsweise" unter den kumulativen Voraussetzungen abgesehen werden, dass sie (1.) einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde und (2.) die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung gegenüber den privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen (Art. 66a Abs. 2 Satz 1 StGB; sog. Härtefallklausel). Das Bundesgericht hat wiederholt dargelegt, welche Kriterien bei der Prüfung des persönlichen Härtefalls und der Interessenabwägung zu berücksichtigen sind (BGE 146 IV 105 E. 3.4; 144 IV 332 E. 3.3; je mit Hinweisen). Ebenso hat es sich bei der Beurteilung der Landesverweisung bereits mehrfach zum Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 13 BV und Art. 8 EMRK) und der diesbezüglichen Rechtsprechung des EGMR geäussert (BGE 146 IV 105 E. 4.2; 147 I 268 E. 1.2.3; je mit Hinweisen). Schliesslich hat das Bundesgericht mehrfach die Voraussetzungen für eine Ausschreibung im Schengener Informationssystem aufgezeigt (BGE 147 IV 340 E. 4; 146 IV 172 E. 3.2; je mit Hinweisen). Darauf kann verwiesen werden. Zu ergänzen ist, dass das Verhältnis zu volljährigen Kindern nur dann unter das geschützte Familienleben fällt, wenn ein über die üblichen familiären Beziehungen bzw. emotionalen Bindungen hinausgehendes, besonderes Abhängigkeitsverhältnis besteht; namentlich infolge von Betreuungs- oder Pflegebedürfnissen bei körperlichen oder geistigen Behinderungen und schwerwiegenden Krankheiten (BGE 145 I 227 E. 3.1, 5.3; 144 II 1 E. 6.1; Urteile 6B_1040/2023 vom 6. März 2024 E. 5.2.3; 6B_1412/2021 vom 9. Februar 2023 E. 2.2.3).
3.2. Die Vorinstanz prüft die Situation der Beschwerdeführerin umfassend unter Einbezug aller massgeblichen Gesichtspunkte, wie insbesondere dem Grad der (persönlichen und wirtschaftlichen) Integration, einschliesslich familiärer Bindungen in der Schweiz bzw. in der Heimat, Aufenthaltsdauer, Gesundheitszustand und Resozialisierungschancen, und gelangt zum Schluss, es liege kein schwerer persönlicher Härtefall gemäss Art. 66a Abs. 2 StGB vor. Die Vorinstanz weist zutreffend darauf hin, dass der 30-jährige und damit lange Aufenthalt der Beschwerdeführerin in der Schweiz für sich allein noch kein hinreichendes Kriterium für die Begründung eines schweren persönlichen Härtefalls darstellt. Sie berücksichtigt, dass die Integration der Beschwerdeführerin zwar phasenweise durchaus positiv verlaufen ist, letztlich jedoch als gescheitert betrachtet werden muss, nachdem sie aktuell schon seit längerer Zeit von der Sozialhilfe abhängig ist, einige Schulden hat, weitgehend alleine ohne namhafte soziale Kontakte ausserhalb der Familie lebt und auch keinerlei Zukunftspläne hat. Sie weist darauf hin, dass die Beschwerdeführerin bereits vor ihrem Unfall im Jahr 2008 mehrere Vorstrafen wegen Vermögensdelikten erwirkte, die sie als schlecht integriert erscheinen lassen. Die Vorinstanz anerkennt, dass die missglückte Integration nicht in allen Teilen selbstverschuldet ist, gibt jedoch auch zu bedenken, dass die Beschwerdeführerin zuletzt den Weg aus der Misere trotz staatlicher finanzieller Hilfe und mannigfacher psychiatrischer Unterstützung nicht gefunden hat sowie in den letzten Jahren bereits wieder mehrfach straffällig geworden ist. Die Vorinstanz verkennt nicht, dass der mit der Ausweisung einhergehende Verlust des regelmässigen Kontakts mit ihren in der Schweiz lebenden drei erwachsenen Kindern die Beschwerdeführerin zweifellos hart treffen und sie um eine wichtige stabilisierende Stütze bringen wird. Jedoch hält die Vorinstanz fest, dass ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Beschwerdeführerin und einem ihrer drei Kinder, das durch eine besondere Betreuung oder Pflege gekennzeichnet wäre, vorliegend weder auszumachen ist noch konkret geltend gemacht wird. Ferner gibt sie zu bedenken, dass im Falle von regelmässigen (abwechselnden) Besuchen der drei Kinder im Heimatland ein relativ engmaschiger Kontakt der Beschwerdeführerin zur Stammfamilie gewährleistet ist und eine soziale Isolation auf diese Weise weitgehend verhindert werden kann, zumal der Kontakt zusätzlich durch die sozialen Medien aufrechterhalten werden kann. Hinsichtlich der Zumutbarkeit der Ausweisung der Beschwerdeführerin in ihr Heimatland berücksichtigt die Vorinstanz, dass die wirtschaftliche Situation in Montenegro zwar um einiges schlechter ist als in der Schweiz, es sich jedoch um einen demokratisch regierten europäischen Staat handelt, welcher der Beschwerdeführerin kulturell und sprachlich vertraut ist und auch ein Sozialsystem kennt, das den Absturz in die totale Mittellosigkeit grundsätzlich zu verhindern vermag. Mangels weiterer Begründung sieht die Vorinstanz keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführerin in ihrem Heimatland nahezu zwingend die Obdachlosigkeit drohe, zumal dort drei ihrer Geschwister leben. Die Vorinstanz berücksichtigt schliesslich auch, dass die Beschwerdeführerin diverse psychische Probleme hat, die sie im Alltag sicherlich wesentlich beeinträchtigen. Sie fügt jedoch an, dass das Beschwerdebild der Beschwerdeführerin nicht derart aussergewöhnlich ist, dass es im Heimatland nicht weiter behandelt bzw. stabilisiert werden könnte. Die Vorinstanz hält abschliessend fest, dass sich auch im Rahmen einer Gesamtschau aller Schwierigkeiten der Beschwerdeführerin keine Ausnahme von der grundsätzlich obligatorischen Landesverweisung ergibt, da die einzelnen Ausnahmekriterien gemäss der entsprechenden bundesgerichtlichen Praxis jeweils derart klar nicht gegeben sind. Der Vollständigkeit halber weist die Vorinstanz noch darauf hin, dass selbst bei Annahme eines schweren persönlichen Härtefalls ernsthafte öffentliche Interessen an einer Ausweisung der Beschwerdeführerin bestehen, die tendenziell dagegen sprechen würden, dass diese die restriktive Ausnahmeklausel von Art. 66a Abs. 2 StGB bei einer Verhältnismässigkeitsprüfung mit Erfolg anzurufen vermöchte (Urteil S. 7 ff.).
3.3. Damit hat die Vorinstanz die Situation der Beschwerdeführerin ganzheitlich gewürdigt. Inwiefern sie das Vorliegen eines schweren persönlichen Härtefalls willkürlich oder rechtsfehlerhaft ausgeschlossen haben könnte, ist auch unter Berücksichtigung der in der Beschwerde erhobenen Kritik nicht ersichtlich. Die Beschwerdeführerin beschränkt sich darauf, das bereits vor der Vorinstanz Vorgetragene darzulegen, und zu schildern, dass und weshalb es sich bei ihr aus ihrer Sicht um einen schweren persönlichen Härtefall handelt. Damit vermag sie den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung einer Beschwerde in Strafsachen weitgehend nicht zu genügen (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG). Wie dargelegt berücksichtigt die Vorinstanz die lange Aufenthaltsdauer der Beschwerdeführerin, die anfänglich positiv verlaufende Integration, die beruflichen, finanziellen und gesundheitlichen Folgen des erlittenen Unfalls, ihre psychischen Probleme, ihre Beziehung zu ihren Kindern sowie die sie erwartenden Verhältnisse in Montenegro und würdigt diese zutreffend. Die bald 60-jährige Beschwerdeführerin lebt zwar seit langer Zeit in der Schweiz, hat jedoch ihre Kindheit und die prägenden Jugendjahre nicht in der Schweiz verbracht. Ihre soziale und berufliche Integration ist gescheitert. Die Beschwerdeführerin ist seit Jahren auf finanzielle Unterstützung angewiesen, ist mehrfach vorbestraft und verfügt in der Schweiz über keine namhaften sozialen Kontakte ausserhalb der Familie. Weder die Vorinstanz noch das Bundesgericht übersehen die von der Beschwerdeführerin geschilderte enge Beziehung zu ihren drei erwachsenen Kindern und gehen mit der Beschwerdeführerin darin einig, dass Kontakte über die sozialen Medien nicht das Gleiche sind wie persönliche Kontakte. Nichtsdestotrotz ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass zwischen der Beschwerdeführerin und einem ihrer Kinder ein über die üblichen familiären Beziehungen bzw. emotionalen Bindungen hinausgehendes, besonderes Abhängigkeitsverhältnis besteht, das unter das Recht auf Achtung des Familienlebens (Art. 13 BV und Art. 8 EMRK) fallen könnte (vgl. E. 3.1 i.f.). Auch hat die Vorinstanz überzeugend aufgezeigt, wie eine soziale Isolation der Beschwerdeführerin nach ihrer Ausweisung verhindert werden könnte. Wie bereits vor der Vorinstanz, zeigt die Beschwerdeführerin auch vor Bundesgericht nicht substanziiert auf, dass sie in ihrem Heimatland keine Unterstützung erhalten würde und auf der Strasse leben müsste. Indem sie den vorinstanzlichen Feststellungen einzig ihre Sicht der Dinge gegenüberstellt, ohne diese näher zu begründen, geschweige denn zu belegen, verliert sie sich in unzulässiger appellatorischer Kritik. Wiederum verkennt weder die Vorinstanz noch das Bundesgericht, dass die wirtschaftliche Situation in Montenegro wesentlich schlechter ist als in der Schweiz, jedoch vermag dies eine Landesverweisung praxisgemäss nicht zu verhindern (vgl. Urteile 6B_857/2023 vom 29. November 2023 E. 4.2.3; 6B_1453/2022 vom 8. Juni 2023 E. 1.4.5; 6B_1372/2021 vom 3. März 2022 E. 2.2.5; je mit Hinweisen). In zusätzlicher Berücksichtigung, dass Montenegro ein Sozialsystem kennt, die Beschwerdeführerin drei Geschwister in diesem Land hat und mit dessen Sprache sowie Kultur vertraut ist, erscheint eine Ausweisung in ihr Heimatland zumutbar. Dass ihre gesundheitlichen Probleme einer Landesverweisung entgegenstehen würden, macht die Beschwerdeführerin vor Bundesgericht nicht geltend und ist angesichts der vorinstanzlichen Erwägungen auch nicht ersichtlich.
3.4. Zusammenfassend ist nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz zum Schluss gelangt, dass die Landesverweisung für die Beschwerdeführerin keinen schweren persönlichen Härtefall bewirkt. Damit erübrigt sich eine Interessenabwägung zwischen den privaten Interessen der Beschwerdeführerin am Verbleib in der Schweiz und den öffentlichen Interessen an der Landesverweisung. Dabei wird nicht übersehen, dass die Landesverweisung für die Beschwerdeführerin eine gewisse Härte bedeutet. Diese geht aber nicht über das Mass hinaus, das der Verfassungs- und Gesetzgeber mit der Einführung der obligatorischen Landesverweisung in Kauf nahm oder sogar wollte. Da die Beschwerdeführerin die Dauer der Landesverweisung und die Ausschreibung im SIS nicht kritisiert, ist darauf nicht einzugehen.
4.
Die Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 109 BGG als unbegründet abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos, zumal diese der Beschwerde in analoger Anwendung von Art. 103 Abs. 2 lit b BGG bereits von Gesetzes wegen zukommt (vgl. Urteil 6B_123/2022 vom 8. Dezember 2022 E. 1 mit Hinweisen).
Ausgangsgemäss sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ihr Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist infolge Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). In Berücksichtigung ihrer finanziellen Lage und des relativ geringen Aufwands ist eine reduzierte Entscheidgebühr angemessen (Art. 65 Abs. 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 9. September 2024
Im Namen der I. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
Die Gerichtsschreiberin: Andres