2C_228/2024 11.10.2024
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
2C_228/2024
Urteil vom 11. Oktober 2024
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin,
Bundesrichter Donzallaz, Bundesrichterin Hänni,
Bundesrichterin Ryter, Bundesrichter Kradolfer,
Gerichtsschreiberin Wortha.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Frischknecht,
gegen
Politische Gemeinde U.________, Gemeinderat,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Gabriel Bawidamann.
Gegenstand
Staatshaftung; vorsorgliche Massnahmen,
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Einzelrichterin im Obligationenrecht, vom 18. April 2024 (BS.2023.14-EZO3, ZV.2023.196-EZO3).
Sachverhalt:
A.
A.________ ist Grundeigentümer in der politischen Gemeinde U.________. In den Jahren 2001 und 2002 reichte er jeweils ein Baugesuch zur Erstellung einer Erschliessungsstrasse sowie zur Einkiesung von Vorplätzen bei der Gemeinde U.________ (vormals Gemeinde V.________) ein. Das sich aus diesen Arbeiten ergebende Material konnte A.________ in drei Geländemulden auf seinem Grundstück einfüllen. Die Gemeinde U.________ stellte in der Folge fest, dass A.________ auch Fremdmaterial, welches nicht von den bewilligten Arbeiten stammte, in die Mulden eingefüllt hatte und verfügte am 14. August 2014 die Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands bzw. die Aushebung des Fremdmaterials insbesondere aus der Mulde Nr. 2. Nachdem die Verfügung im Jahr 2019 rechtskräftig geworden war, verfügte die Gemeinde U.________ am 16. September 2020 die Ersatzvornahme. A.________ ist der Ansicht, die Gemeinde U.________ habe ihre Verfügungen auf einer falschen Grundlage getroffen und zudem selbst Material in der Mulde Nr. 2 deponiert.
B.
A.________ reichte am 17. März 2023 beim Kreisgericht Toggenburg ein Gesuch um vorsorgliche Beweisführung zur Abklärung der Prozessaussichten eines allfälligen Staatshaftungsverfahrens gegen die Gemeinde U.________ bzw. zur Beweissicherung in einem solchen Verfahren ein. Am 6. November 2023 wies das Kreisgericht Toggenburg das Gesuch ab, was mit Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Einzelrichterin im Obligationenrecht, vom 18. April 2024 bestätigt wurde.
C.
Mit "Beschwerde" vom 1. Mai 2024 gelangt A.________ (nachfolgend Beschwerdeführer) ans Bundesgericht. Er beantragt im Hauptstandpunkt, den vorinstanzlichen Entscheid vom 18. April 2024 aufzuheben und zur Neubeurteilung zurückzuweisen. Im Eventual- und Subeventualstandpunkt beantragt er die Einholung von Expertisen und Zeugeneinvernahmen.
Mit Präsidialverfügung vom 31. Mai 2024 wurde das Gesuch um aufschiebende Wirkung abgewiesen, soweit darauf eingetreten wurde.
In ihrer Vernehmlassung beantragt die Gemeinde U.________ (nachfolgend Beschwerdegegnerin) die Abweisung der Beschwerde, während die Vorinstanz auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Erwägungen:
1.
1.1. Das Bundesgericht prüft die Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 149 II 476 E.1; 149 II 462 E. 1.1). Der Beschwerdeführer hat seine Eingabe lediglich mit "Beschwerde" tituliert. Die mangelhafte Bezeichnung schadet ihm jedoch nicht, sofern seine Eingabe den gesetzlichen Anforderungen des ihm offen stehenden Rechtsmittels an das Bundesgericht genügt (vgl. BGE 138 I 367 E. 1.1; 134 III 379 E. 1.2; Urteile 2C_691/2023 vom 8. August 2024 E. 1.1; 2C_457/2023 vom 15. September 2023 E. 1.3, nicht publ. in: BGE 150 I 73).
1.2. Die Beschwerde richtet sich gegen einen Entscheid des kantonalen Obergerichts, der sich auf kantonales Staatshaftungsrecht stützt. Mit dem Entscheid lehnte die Vorinstanz das Gesuch um vorsorgliche Beweisführung des Beschwerdeführers ab, im Hinblick auf einen allfälligen Staatshaftungsprozess gegen die Gemeinde U.________ für die Feststellung der Prozessaussichten bzw. zur Beweissicherung vorsorglich Beweise abzunehmen. Trotz der Zuständigkeit der Zivilgerichte im Kanton St. Gallen handelt es sich dabei um einen Entscheid in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts, gegen den die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig ist (Art. 82 lit. a BGG; Urteile 2C_900/2022 vom 12. Juli 2024 E. 1; 2C_817/2020 vom 27. Dezember 2021 E. 1.2). Der Entscheid über die vorsorgliche Beweisführung stellt einen Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG dar, da er das Verfahren abschliesst (Urteil 4A_132/2020 vom 8. September 2020 E. 1 mit Hinweisen). Die Streitwertgrenze von Fr. 30'000.-- des allfälligen Staatshaftungsprozesses ist vorliegend erreicht (Art. 85 Abs. 1 lit. a BGG).
1.3. Da die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind (Art. 42, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2, Art. 89 Abs. 1, Art. 100 Abs. 1 BGG), ist auf die Eingabe als Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten einzutreten.
2.
2.1. Beim vorliegenden Entscheid über die Verweigerung der vorläufigen Beweisabnahme handelt es sich um eine vorsorgliche Massnahme (Urteil 4A_323/2022 vom 5. Dezember 2022 E. 1 mit Hinweisen). Diese prüft das Bundesgericht nur darauf hin, ob sie verfassungsmässige Rechte verletzt (Art. 98 BGG; BGE 147 II 44 E. 1.2). Das Bundesgericht wendet das Recht zwar von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), es gilt aber die qualifizierte Rüge- und Begründungspflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; Urteil 2C_165/2024 vom 8. August 2024 E. 2.1). In der Beschwerde ist somit klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen, inwiefern verfassungsmässige Individualrechte verletzt worden sein sollen (BGE 149 I 248 E. 3.1; 149 I 105 E. 2.1; 148 I 104 E. 1.5).
Soweit der Beschwerdeführer lediglich die falsche Rechtsanwendung von Art. 158 ZPO, den die Vorinstanz kraft Art. 74 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons St. Gallen (VRP/SG; sGS 951.1; angefochtener Entscheid E. 1) als subsidiäres kantonales Recht angewendet hat, rügt, erhebt er keine qualifizierte Verfassungsrüge. Auf die Rüge ist daher nicht einzutreten.
2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). In Verfahren gegen Entscheide über vorsorgliche Massnahmen kann es die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Verletzung verfassungsmässiger Rechte beruht (vgl. Art. 105 Abs. 2 BGG; Urteil 2C_376/2022 vom 13. September 2022 E. 2.1). Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid geht das Bundesgericht nicht ein (BGE 149 II 290 E. 3.2.4; 148 IV 356 E. 2.1; 148 I 104 E. 1.5; 140 III 264 E. 2.3).
Nachdem das Bundesgericht den vorinstanzlichen Entscheid zufolge fehlender Verfassungsrüge nicht in der Sache überprüft, geht die Sachverhaltsrüge ins Leere. Diese ist nicht zu behandeln, da das Bundesgericht keine materielle Rechtsfrage, der ein Sachverhalt zugrunde zu legen wäre, zu prüfen hat.
3.
Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet somit allein die Gehörsrüge des Beschwerdeführers. Er rügt, die Vorinstanz habe sein Anspruch auf rechtliches Gehör und sein Replikrecht gemäss Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK verletzt, indem sie seine Eingabe vom 29. Dezember 2023 aus dem Recht gewiesen habe.
3.1. Der Anspruch einer Partei, im Rahmen eines Gerichtsverfahrens zu replizieren, bildet einen Teilgehalt des verfassungsmässigen Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV; Art. 6 Ziff. 1 EMRK). Diese Garantie umfasst das Recht, von allen beim Gericht eingereichten Stellungnahmen Kenntnis zu erhalten und sich dazu äussern zu können, unabhängig davon, ob die Eingaben neue und/oder wesentliche Vorbringen enthalten. Das Gericht muss vor Erlass seines Urteils eingegangene Vernehmlassungen den Beteiligten zustellen, damit diese sich darüber schlüssig werden können, ob sie sich dazu äussern wollen oder nicht (zum Ganzen: BGE 146 III 97 E. 3.4.1 mit Hinweisen). Es obliegt dem Gericht, in jedem Einzelfall den Parteien ein effektives Replikrecht zu gewähren. Es kann der betroffenen Person hierfür eine Frist setzen, doch genügt zur Wahrung des Replikrechts grundsätzlich, dass den Parteien die Eingaben zur Information (Kenntnisnahme, Orientierung) zugestellt werden, wenn von ihnen, namentlich von anwaltlich Vertretenen oder Rechtskundigen, erwartet werden kann, dass sie unaufgefordert Stellung nehmen (BGE 142 III 48 E. 4.1.1; 138 I 484 E. 2.4; Urteil des EGMR Joos gegen Schweiz vom 15. November 2012, Nr. 43245/07, Ziff. 29-33; Urteil 1C_338/2020 vom 19. Januar 2021 E. 2.3).
3.2. Unumstrittenermassen hat die Vorinstanz dem Beschwerdeführer die Berufungsantwort der Beschwerdegegnerin am 18. Dezember 2023 zur Kenntnisnahme zugestellt und ihm Gelegenheit gegeben, zur Wahrung seines rechtlichen Gehörs innert 10 Tagen eine Stellungnahme einzureichen. Einen zweiten Schriftenwechsel hat sie ausgeschlossen (angefochtener Entscheid E. 6). Mit Eingabe vom 29. Dezember 2023 hat der Beschwerdeführer eine Stellungnahme eingereicht. In der Folge erging der vorinstanzliche Entscheid am 18. April 2024. Die Vorinstanz hat dem Beschwerdeführer somit die Eingabe der Gegenpartei zugestellt und ihm Gelegenheit gegeben, sich dazu zu äussern, bevor sie die Sache entschieden hat. Sie hat seine Eingabe auch berücksichtigt, sie aber als nicht entscheidrelevant erachtet. Eine Verletzung des Replikrechts ist nicht ersichtlich. Die Frage ist, ob es gerechtfertigt ist, dass die Vorinstanz die Eingabe vorliegend nicht als entscheiderheblich eingestuft und diese nicht weiter beachtet hat.
3.3. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt von der Behörde, dass sie die Vorbringen der Parteien tatsächlich hört, ernsthaft prüft und in ihrer Entscheidfindung angemessen berücksichtigt. Dies gilt für alle form- und fristgerechten Äusserungen, Eingaben und Anträge, die zur Klärung der konkreten Streitfrage geeignet und erforderlich erscheinen (BGE 136 I 184 E. 2.2.1 mit Hinweisen; Urteile 2C_460/2023 vom 31. Mai 2024 E. 4.1; 5A_665/2023 vom 17. Januar 2024 E. 4.2.1.1).
3.4. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, die Vorinstanz hätte seine Eingabe vom 29. Dezember 2023 aus dem Recht gewiesen, ist dies nicht zutreffend. Aus dem Entscheid ergibt sich, dass die Vorinstanz von seiner Eingabe Kenntnis genommen hat, seine Ausführungen darin aber als "nicht zu hören" erachtet (angefochtener Entscheid E. 6). Die Vorinstanz bringt damit zum Ausdruck, dass sie die Vorbringen des Beschwerdeführers als nicht entscheiderheblich beurteilt, sei es, weil es sich um unzulässige Noven handelt (angefochtener Entscheid E. 4), sodass es sich nicht um eine fristgerechte Äusserung handelt; sei es, weil es keine für den Entscheid wesentliche Punkte sind (vgl. BGE 150 III 1 E. 4.5). Allein, dass der Beschwerdeführer seine Vorbringen anders gewürdigt haben möchte oder diesen anderes Gewicht beimisst als die Vorinstanz, begründet keine Verletzung des rechtlichen Gehörs.
3.5. Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass die Vorinstanz dem Beschwerdeführer die Eingabe der Gegenpartei zur Kenntnisnahme zustellte, vor dem Entscheid seine Stellungnahme abwartete, diese nicht aus dem Recht wies, ihr aber keine Relevanz beimass. Dieses Vorgehen verstösst weder gegen Art. 29 Abs. 3 BV noch Art. 6 Ziff. 1 EMRK und erweist sich damit als verfassungs- und konventionskonform.
4.
Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann (vgl. vorstehend E. 2.1). Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs.1 BGG). Es sind keine Parteientschädigungen geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Kantonsgericht St. Gallen, Einzelrichterin im Obligationenrecht, mitgeteilt.
Lausanne, 11. Oktober 2024
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin
Die Gerichtsschreiberin: A. Wortha