8C_37/2024 10.10.2024
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
8C_37/2024
Urteil vom 10. Oktober 2024
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Wirthlin, Präsident,
Bundesrichterinnen Heine, Viscione,
Gerichtsschreiber Hochuli.
Verfahrensbeteiligte
A.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwalt Stefan Fierz,
Beschwerdeführerin,
gegen
Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO),
Arbeitsmarkt/Arbeitslosenversicherung, Juristischer Dienst, Holzikofenweg 36, 3003 Bern,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Arbeitslosenversicherung (Kurzarbeitsentschädigung, Rückerstattung),
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Dezember 2023 (B-4138/2021).
Sachverhalt:
A.
Die A.________ AG (fortan: AG oder Beschwerdeführerin), Kanton Basel-Landschaft, bezweckt gemäss Handelsregistereintrag unter anderem die Vornahme aller Handlungen im Bereich Logistik, namentlich das Ausführen und Vermitteln von Transporten, das Lagern von Gütern aller Art und die Abwicklung von Speditionsaufträgen im In- und Ausland. Nach eigenen Angaben führt die AG ausschliesslich unplanbare Express-Transporte durch, die auch häufig kurzfristig storniert werden. Die AG beschäftigt Chauffeure bzw. Fahrer sowie Mitarbeitende in der Administration. Sie bezog für den gesamten Betrieb von März 2020 bis Mai 2021 Kurzarbeitsentschädigungen. Nach einer Arbeitgeberkontrolle vom 29. Juni 2021 forderte das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) unrechtmässig bezogene Versicherungsleistungen von Fr. 509'612.90 (Fr. 523'323.45 abzüglich die für Mai 2021 noch nicht ausbezahlten Leistungen von Fr. 13'710.55) zurück (Revisionsverfügung vom 6. Juli 2021). Daran hielt es auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 13. August 2021).
B.
Das Bundesverwaltungsgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde ab (Urteil vom 11. Dezember 2023).
C.
Die AG lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Einspracheentscheides vom 13. August 2021 sei die Verpflichtung zur Rückerstattung von Fr. 509'612.90 aufzuheben. Eventualiter sei die Angelegenheit zur Neubeurteilung an die Vorinstanz, subeventualiter an das SECO zurückzuweisen. Ferner sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
Das Bundesverwaltungsgericht verzichtet auf eine Stellungnahme, während das SECO auf Beschwerdeabweisung schliesst.
D.
Mit Verfügung vom 15. Mai 2024 setzt die Instruktionsrichterin der Beschwerdeführerin Frist, um zur Vernehmlassung des SECO Stellung zu nehmen. Die Parteien halten an ihren Standpunkten fest.
Erwägungen:
1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG; zum Ganzen: BGE 145 V 57 E. 4).
2.
2.1. Streitig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die vom Beschwerdegegner am 6. Juli 2021 verfügte und mit Einspracheentscheid vom 13. August 2021 bestätigte Rückforderung der zu Unrecht an die Beschwerdeführerin ausbezahlten Kurzarbeitsentschädigung im Betrag von insgesamt Fr. 509'612.90 schützte.
2.2. Fest steht und unbestritten ist, dass die in der Administration tätigen Mitarbeitenden der Beschwerdeführerin keine Arbeitszeitkontrolle geführt haben.
3.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die hier nach Gesetz und Rechtsprechung massgebenden Grundlagen richtig dargestellt. Darauf wird verwiesen (Art. 109 Abs. 3 BGG).
4.
4.1. Nach Art. 31 Abs. 1 lit. d AVIG haben Arbeitnehmer, deren normale Arbeitszeit verkürzt oder deren Arbeit ganz eingestellt ist, Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung, wenn der Arbeitsausfall voraussichtlich vorübergehend ist und erwartet werden darf, dass ihre Arbeitsplätze durch Kurzarbeit erhalten werden können. Keinen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung haben unter anderem Arbeitnehmer, deren Arbeitsausfall nicht bestimmbar oder deren Arbeitszeit nicht ausreichend kontrollierbar ist (Art. 31 Abs. 3 lit. a AVIG). Art. 46b AVIV präzisiert, dass die genügende Kontrollierbarkeit des Arbeitsausfalls eine betriebliche Arbeitszeitkontrolle voraussetzt (Abs. 1) und der Arbeitgeber die Unterlagen über die Arbeitszeitkontrolle während fünf Jahren aufzubewahren hat (Abs. 2). Damit soll sichergestellt werden, dass der Arbeitsausfall für die Durchführungsorgane der Arbeitslosenversicherung überprüfbar ist (ARV 2010 S. 303). Die Beweislast hierfür obliegt dem Arbeitgeber (Art. 47 Abs. 3 lit. a in Verbindung mit Art. 42 Abs. 3 und Art. 31 Abs. 3 lit. a AVIG sowie Art. 46b AVIV; ARV 2024 S. 230, 8C_306/2023 E. 3.1.1 mit Hinweis).
4.2. Die Verordnung des Bundesrates über Massnahmen im Bereich der Arbeitslosenversicherung im Zusammenhang mit dem Coronavirus (Covid-19) vom 20. März 2020 (Covid-19-Verordnung Arbeitslosenversicherung; SR 837.033; einschliesslich ihrer bisherigen Änderungen [AS 2020 877, 1075, 1201]) legt Erleichterungen in Bezug auf die Kurzarbeit fest, enthält aber für die hier zu beurteilende Problematik keine Abweichungen vom dargelegten Recht (ARV 2024 S. 230, 8C_306/2023 E. 3.1.2).
4.3. Unrechtmässig ausgerichtete Leistungen der Arbeitslosenversicherung können zurückgefordert werden (Art. 95 Abs. 1 AVIG in Verbindung mit Art. 25 Abs. 1 und 2 ATSG), sofern die Voraussetzungen für ein wiedererwägungs- oder revisionsweises Zurückkommen auf die formell rechtskräftig verfügte oder formlos erfolgte Leistungszusprechung gegeben sind (Art. 53 ATSG; BGE 130 V 318 E. 5.2; 129 V 110 mit Hinweisen; ARV 2024 S. 230, 8C_306/2023 E. 3.2 mit Hinweis).
5.
5.1. Gemäss angefochtenem Urteil stellte der Beschwerdegegner anlässlich der Arbeitgeberkontrolle vom 29. Juni 2021 zu Recht fest, die betriebliche Arbeitszeitkontrolle der Beschwerdeführerin weise, soweit überhaupt vorhanden (E. 2.2), Mängel auf und sei daher ungenügend. Die zur Verfügung gestellten Unterlagen müssten praxisgemäss das Kontrollorgan in die Lage versetzen, jederzeit möglichst zuverlässig die genauen Arbeitszeiten jedes einzelnen Arbeitnehmers feststellen zu können (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts [EVG; heute: öffentlich-rechtliche Abteilungen III und IV des Bundesgerichts] C 66/04 vom 18. August 2004 E. 3.2). Die Beschwerdeführerin habe auf den "Voranmeldungen von Kurzarbeit" jeweils unterschriftlich bestätigt, davon Kenntnis genommen zu haben, dass sie für die Kurzarbeit der betroffenen Arbeitnehmenden eine betriebliche Arbeitszeitkontrolle (z.B. Stempelkarten, Stundenrapporte) führen müsse und diese die täglich geleisteten Arbeitsstunden inklusive allfälliger Mehrstunden und die wirtschaftlich bedingten Ausfallstunden sowie sämtliche übrigen Absenzen wie zum Beispiel Ferien-, Krankheits-, Unfall- oder Militärabwesenheiten beinhalten müsse. Statt dessen habe die Beschwerdeführerin den Arbeitsausfall ausgehend von der vertraglich vorgesehenen Sollzeit berechnet und davon die gemäss Aufstellungen geleistete Arbeitszeit subtrahiert. Eine solche Plausibilisierung der Ausfallstunden vermöge die ungenügende Arbeitszeiterfassung nicht zu kompensieren. Die geltend gemachten Ausfallstunden seien nicht genügend kontrollier- und bestimmbar gewesen, weshalb kein Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung bestanden habe. Die Durchführung der Arbeitgeberkontrolle vom 29. Juni 2021 sei nicht als bundesrechtswidrig zu beanstanden. In antizipierter Beweiswürdigung sei auf weitere Beweiserhebungen zu verzichten. Die Voraussetzungen des Vertrauensschutzes in eine - angebliche, jedoch unbelegte - unrichtige behördliche Zusicherung seien nicht erfüllt und die rechtlichen Anforderungen an die betriebliche Arbeitszeitkontrolle (Art. 46b Abs. 1 AVIV) auch während der ausserordentlichen Pandemielage unverändert einzuhalten gewesen (vgl. E. 4.2). Fehle es an der materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzung der ausreichenden Kontrollierbarkeit des Arbeitsausfalls (vgl. ARV 2024 S. 230, 8C_306/2023 E. 6; vgl. auch Urteile 8C_18/2024 vom 9. Juli 2024 E. 6.4 und 8C_728/2023 vom 15. Mai 2023 E. 6), sei die Kurzarbeitsentschädigung von Fr. 509'612.90 für den Zeitraum von März 2020 bis Mai 2021 zu Unrecht ausgerichtet worden und folglich - wie mit Einspracheentscheid vom 13. August 2021 zu Recht bestätigt - zurückzuerstatten.
5.2. Was die Beschwerdeführerin gegen die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts vorbringt, vermag weder in einer der qualifizierten Rügepflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 148 I 104 E. 1.5 mit Hinweisen) genügenden Weise eine Verletzung des Willkürverbots zu begründen, noch zeigt sie anderweitig auf, inwiefern das angefochtene Urteil Bundesrecht verletzen soll. Zwar wiederholt die Beschwerdeführerin auch vor Bundesgericht, die Aufzeichnungen im digitalen Fahrtenschreiber gewährleisteten in Verbindung mit den vorhandenen Ferienmeldungen bzw. den diesbezüglichen Angaben auf den Lohnabrechnungen und den Aufzeichnungen zu den Arbeitsunfähigkeiten - zumindest für die Chauffeure - die Bestimmbarkeit bzw. eine ausreichende Kontrollierbarkeit der Arbeitszeit gemäss Art. 31 Abs. 3 lit. a AVIG. Einzelne Fehler und Unklarheiten bei den Aufzeichnungen könnten allenfalls zu Kürzungen, jedoch nicht zum Wegfall des gesamten Anspruchs führen. Dennoch bestreitet die Beschwerdeführerin nicht, trotz wiederholter Anerkennung ihrer Verpflichtung zur betrieblichen Arbeitszeitkontrolle im Rahmen der "Voranmeldungen von Kurzarbeit" (E. 5.1) anlässlich der Arbeitgeberkontrolle vom 29. Juni 2021 ausdrücklich unterschriftlich bescheinigt zu haben, eine Arbeitszeiterfassung, aus welcher täglich die geleisteten Arbeitsstunden, die wirtschaftlich bedingten Ausfallstunden sowie alle Absenzen wie Ferien, Krankheit und Unfall hervor gingen, werde von den Arbeitnehmern nicht geführt. "Die Arbeitszeit basier[e] auf Vertrauen. Die Arbeitsausfälle w[ü]rden anhand der Fahrzeugauslastung, des Umsatzes sowie unserer Einschätzung prozentual ermittelt". Daran hielt die Beschwerdeführerin auch im Einspracheverfahren fest. Mit Blick auf die jedenfalls nicht als willkürlich zu beanstandende Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gemäss angefochtenem Urteil kann hier offenbleiben, ob und gegebenenfalls inwieweit die Aufstellungen der Beschwerdeführerin im Sinne von Art. 16 Abs. 1 der Verordnung vom 19. Juni 1995 über die Arbeits- und Ruhezeit der berufsmässigen Motorfahrzeugführer und -führerinnen (Chauffeurverordnung, ARV 1; SR 822.221) - soweit für die Fahrer der Beschwerdeführerin vorhanden - eine den arbeitslosenversicherungsrechtlichen Anforderungen genügende Kontrollierbarkeit der betrieblichen Arbeitszeit und der wirtschaftlich bedingten Ausfallstunden gewährleisten könnten. Angesichts der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin ausschliesslich unplanbare Express-Transporte besorgt, die auch häufig kurzfristig storniert werden, fehlte es laut Vorinstanz hinsichtlich der Abgrenzung von unechter Arbeit auf Abruf (vgl. dazu SVR 2024 ALV Nr. 1 S. 1, 8C_313/2023 E. 4.1 mit Hinweis; vgl. auch Urteil 8C_641/2022 vom 3. Februar 2023 E. 5.2 mit Hinweisen) und Bereitschaftsdienst gemäss Art. 7 Abs. 1 ARV 1 jedenfalls an einem zuverlässigen und tauglichen Beweismittel für die betriebliche Arbeitszeitkontrolle. Die Beschwerdeführerin legt ebenfalls nicht in einer der qualifizierten Rügepflicht genügenden Weise dar, inwiefern die Vorinstanz mit Blick auf das Urteil 8C_699/2022 vom 15. Juni 2022 E. 6.4 den Verhältnismässigkeitsgrundsatz (Art. 5 Abs. 2 BV) verletzt haben soll, indem sie nicht auf einen - im Übrigen auch nicht ansatzweise substanziierten - Teilbetrag der verfügten Rückerstattungsforderung verzichtet habe.
6.
Die Beschwerde ist offensichtlich unbegründet, weshalb sie im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG mit summarischer Begründung und unter Hinweis auf die Erwägungen im angefochtenen Entscheid erledigt wird (Art. 109 Abs. 3 BGG). Damit wird das Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung gegenstandslos.
7.
Die Gerichtskosten werden der unterliegenden Beschwerdeführerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 8'000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bundesverwaltungsgericht und der Öffentlichen Arbeitslosenkasse Baselland schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 10. Oktober 2024
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Wirthlin
Der Gerichtsschreiber: Hochuli