8C_227/2024 24.10.2024
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
8C_227/2024
Urteil vom 24. Oktober 2024
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Wirthlin, Präsident,
Bundesrichterinnen Heine, Viscione,
Gerichtsschreiber Walther.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Philip Stolkin,
Beschwerdeführer,
gegen
IV-Stelle des Kantons Thurgau, Rechts- und Einsprachedienst,
St. Gallerstrasse 11, 8500 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau als Versicherungsgericht vom 14. Februar 2024 (VV.2023.200/E).
Sachverhalt:
A.
A.________, geboren 1977, meldete sich mit Formular vom 17. August 2011 wegen der Folgen eines Unfalls vom 9. Dezember 2010 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 11. April 2014 verpflichtete ihn die IV-Stelle des Kantons Thurgau (nachfolgend: IV-Stelle oder Beschwerdegegnerin), sich einer psychiatrischen Begutachtung zu unterziehen und machte ihn auf die Folgen einer Verletzung seiner Mitwirkungspflicht aufmerksam. Nachdem sich A.________ geweigert hatte, an der Begutachtung teilzunehmen, wies die IV-Stelle das Leistungsbegehren mit Verfügung vom 6. August 2014 wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht ab.
Am 1. Februar 2019 forderte die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva) A.________ erfolglos auf, sich bei der Invalidenversicherung anzumelden. Mit Verfügung vom 1. April 2019, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 15. Juli 2019, berechnete sie in der Folge die A.________ seit dem 1. November 2014 ausgerichtete Invalidenrente der Unfallversicherung - ausgehend von einer ganzen Rente der Invalidenversicherung - ab 1. April 2019 neu als Komplementärrente. Am 13. September 2022 ersuchte A.________ die IV-Stelle, ihre Verfügung vom 6. August 2014 in Wiedererwägung zu ziehen und ihm rückwirkend ab 1. September 2011 eine Rente aufgrund eines Invaliditätsgrads von 100 % auszurichten. Mit Verfügung vom 23. Oktober 2023 sprach ihm die IV-Stelle eine ganze Rente zu, allerdings erst ab 1. März 2023.
B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau wies die dagegen erhobene Beschwerde von A.________ mit Entscheid vom 14. Februar 2024 ab.
C.
A.________ erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, unter Aufhebung des kantonalen Entscheids sei die IV-Stelle anzuweisen, die Rente basierend auf einem Invaliditätsgrad von 100 % rückwirkend per 1. September 2011 auszurichten. Eventualiter sei die Angelegenheit zur weiteren Behandlung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen:
1.
Neue Begehren sind vor Bundesgericht unzulässig (Art. 99 Abs. 2 BGG). Im Beschwerdeverfahren vor dem kantonalen Gericht beantragte der Beschwerdeführer die Zusprechung der Rente rückwirkend ab 9. Dezember 2011. Das letztinstanzlich gestellte Begehren um rückwirkende Ausrichtung bereits ab 1. September 2011 ist somit neu (BGE 136 V 367 E. 4.2). Darauf kann nicht eingetreten werden (BGE 134 V 418 E. 5.2.1).
2.
2.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 148 V 209 E. 2.2 mit Hinweis).
2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG).
3.
Streitig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie die von der IV-Stelle am 23. Oktober 2023 verfügte Rentenzusprache (erst) ab 1. März 2023 bestätigt hat.
4.
Das kantonale Gericht hat die massgeblichen Bestimmungen und die diesbezügliche Rechtsprechung zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen (Art. 109 Abs. 3 BGG).
5.
Die Vorinstanz ist mit einer in allen Teilen schlüssigen und überzeugenden Begründung, auf welche verwiesen werden kann, zum Schluss gelangt, dass die IV-Stelle den Rentenbeginn gestützt auf Art. 29 Abs. 1 IVG zu Recht auf den 1. März 2023, d.h. sechs Monate nach der Neuanmeldung vom 13. September 2022, festgesetzt hat. Bezüglich der Rügen des Beschwerdeführers gegen die im Jahr 2014 vorgesehene psychiatrische Begutachtung hat es zutreffend festgehalten, dass er seine Einwände bereits mit einer Beschwerde gegen die damalige Verfügung vom 11. April 2014 hätte vorbringen können und müssen. Hinsichtlich der von der IV-Stelle abgelehnten Wiedererwägung (Art. 53 Abs. 2 ATSG) der leistungsverweigernden Verfügung vom 6. August 2014 hat das kantonale Gericht ebenso zutreffend darauf hingewiesen, dass kein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf eine solche Wiedererwägung besteht (BGE 133 V 50 E. 4.2) und daher vorliegend auch keine gerichtliche Prüfung der Voraussetzungen von Art. 53 Abs. 2 ATSG zu erfolgen hatte. Soweit der Beschwerdeführer gestützt auf die von der Suva neu eingeholten handchirurgischen und psychiatrischen Gutachten vom 14. Januar bzw. vom 29. März 2022 allenfalls eine prozessuale Revision (Art. 53 Abs. 1 ATSG) der Verfügung vom 6. August 2014 geltend machen wollte, ist ihm das kantonale Gericht nicht gefolgt. Insoweit hat es dargelegt, dass die gemäss Gutachten seit dem Unfall bestehende Arbeitsunfähigkeit zum einen nichts an der im früheren Verfahren begangenen Mitwirkungspflichtverletzung und damit an der Rechtskonformität der damaligen Verfügung ändere. Zum anderen seien offenkundig auch die Voraussetzungen von Art. 53 Abs. 1 ATSG nicht erfüllt.
6.
6.1. Der Beschwerdeführer macht letztinstanzlich nun ausdrücklich geltend, dass es sich bei den Gutachten vom 14. Januar und vom 29. März 2022 um Beweismittel im Sinne von Art. 53 Abs. 1 ATSG handle, welche erhebliche neue Gesichtspunkte zu den Folgen seines Unfalls vom 9. Dezember 2010 bzw. der daraus resultierenden Arbeitsunfähigkeit enthielten. Folglich sei eine prozessuale Revision der Verfügung vom 6. August 2014 und eine rückwirkende Ausrichtung der Invalidenrente geboten.
6.2. Wie bereits die Vorinstanz dargelegt hat, verfängt dies nicht. Erklärt sich die versicherte Person, nachdem ihr die IV-Stelle Leistungen wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht verweigert hat, später zur Mitwirkung bereit, so ist dies als Neuanmeldung zu betrachten und damit lediglich für die Zukunft zu prüfen, ob auf die bisherige Leistungsablehnung zurückzukommen ist (zum Ganzen vgl. Urteil 8C_404/2021 vom 22. März 2022 E. 5.2.1 mit Hinweisen). Soweit der Beschwerdeführer diese Konsequenz seiner früheren Mitwirkungsverweigerung auf dem Weg der prozessualen Revision der Verfügung vom 6. August 2014 abzuwenden versucht, verkennt er, dass der Leistungsanspruch im Erstanmeldungsverfahren keiner materiellen Prüfung unterzogen wurde. Die neuen Gutachten mögen allenfalls belegen, dass er seit dem Unfalltag zu 100 % arbeitsunfähig war; sie beziehen sich damit aber von vornherein nicht auf die damalige Entscheidgrundlage - nämlich die Mitwirkungsverweigerung des Beschwerdeführers - und sind daher auch nicht geeignet, ihre eindeutige Fehlerhaftigkeit aufzuzeigen (vgl. BGE 144 V 245 E. 5.5.5; Urteil 8C_720/2009 vom 15. Februar 2010 E. 5.2). Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die neuen Gutachten selbst dann nicht zu einer prozessualen Revision nach Art. 53 Abs. 1 ATSG führen würden, wenn die leistungsverweigernde Verfügung der IV-Stelle vom 6. August 2014 auf einer Prüfung des Gesundheitszustands bzw. der Arbeitsfähigkeit gestützt auf die Aktenlage beruht hätte (vgl. Art. 43 Abs. 3 ATSG). Die Revision hat nicht den Zweck, die nachträgliche Korrektur einer prozessualen Nachlässigkeit zu ermöglichen (Urteil 8C_188/2023 vom 31. Mai 2024 E. 3.3 mit Hinweisen). Erst recht nicht vermag sie ein Versäumnis zu beheben, wie es hier mit der damaligen Mitwirkungsverweigerung des Beschwerdeführers offenkundig zu bejahen ist. Es wäre ihm unbenommen gewesen, sich der medizinischen Begutachtung zu unterziehen und der IV-Stelle damit die Abklärung seines Gesundheitszustands sowie seiner Arbeitsfähigkeit zu ermöglichen oder, falls notwendig, ergänzende Abklärungen bezüglich seiner Handbeschwerden zu verlangen.
6.3. Inwiefern das kantonale Gericht mit seiner Schlussfolgerung, die Voraussetzungen für eine prozessuale Revision der Verfügung vom 6. August 2014 seien nicht erfüllt, nach dem Gesagten die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Gesetzes-, Verfassungs- und Konventionsbestimmungen (Art. 53 Abs. 1 ATSG; Art. 5, Art. 29 und Art. 29a BV; Art. 6, Art. 13 EMRK; "UNO-Pakt II"), verletzt haben soll, ist nicht ersichtlich. Ob die betreffenden Rügen den qualifizierten Anforderungen gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG genügen (BGE 142 I 135 E. 1.5 am Ende), kann hier dahingestellt bleiben.
7.
Die Beschwerde ist offensichtlich unbegründet, weshalb sie im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG ohne Durchführung eines Schriftenwechsels, mit summarischer Begründung und unter Hinweis auf die Erwägungen im angefochtenen Entscheid (Art. 109 Abs. 3 BGG) erledigt wird.
8.
Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau als Versicherungsgericht und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 24. Oktober 2024
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Wirthlin
Der Gerichtsschreiber: Walther