8C_69/2024 28.10.2024
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
8C_69/2024
Urteil vom 28. Oktober 2024
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Wirthlin, Präsident,
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Métral,
Gerichtsschreiberin Kopp Käch.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Procap Schweiz,
Beschwerdeführer,
gegen
IV-Stelle Uri, Dätwylerstrasse 11, 6460 Altdorf,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung (vorinstanzliches Verfahren),
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Uri vom 22. Dezember 2023 (OG V 23 16).
Sachverhalt:
A.
Mit Verfügung vom 2. März 2023 wies die IV-Stelle Uri das Begehren des 2000 geborenen A.________ um berufliche Massnahmen und Rente ab. Sie wies darauf hin, dass sie bereit wäre, eine erstmalige berufliche Ausbildung zu unterstützen. Bevor jedoch weitere Eingliederungsmassnahmen geprüft würden, sollte A.________ während sechs bis acht Monaten beweisen, dass er einer regelmässigen Arbeit nachgehen könne. Falls er dies erfülle, könne ein erneuter Antrag zur Unterstützung bei der erstmaligen beruflichen Ausbildung gestellt werden.
B.
B.a. A.________ liess dagegen Beschwerde führen und beantragen, in Aufhebung der Verfügung vom 2. März 2023 seien ihm unverzüglich weitere berufliche Massnahmen zuzusprechen. Zudem sei die IV-Stelle zu verpflichten, die Kosten der fachmedizinischen Stellungnahme der B.________ AG vom 14. Juli 2023 zu übernehmen, welche er mit Eingabe vom 31. Juli 2023 nachreichte. Das Obergericht des Kantons Uri lud die Parteien zu einer Instruktionsverhandlung auf den 15. Dezember 2023 ein. Nachdem sich die IV-Stelle anlässlich der Verhandlung bereit erklärte, A.________ - bei aktuell offenbar gegebener Stabilität - mit beruflichen Massnahmen zu unterstützen, zog dieser seine Beschwerde zurück. Das Obergericht schrieb daraufhin die Beschwerde mit Beschluss vom 22. Dezember 2023 am Geschäftsprotokoll ab (Dispositiv-Ziffer 1), wobei es die amtlichen Kosten A.________ auferlegte (Dispositiv-Ziffer 2) und keine Parteientschädigung zusprach (Dispositiv-Ziffer 3).
B.b. Mit Erläuterungsgesuch vom 4. Januar 2024 ersuchte A.________ um Anpassung der Dispositiv-Ziffern 2 und 3 des Abschreibungsbeschlusses in dem Sinne, als die amtlichen Kosten der IV-Stelle aufzuerlegen und ihm eine Parteientschädigung zuzusprechen seien. Das Obergericht teilte mit Schreiben vom 9. Januar 2024 mit, es sehe keine Veranlassung zu einer entsprechenden Anpassung des Dispositivs, da die Beschwerde im Hinblick auf einen reinen Aktenprozess bezogen auf den Verfügungszeitpunkt hätte abgewiesen werden müssen.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ beantragen, in Abänderung des Abschreibungsbeschlusses vom 22. Dezember 2023 seien die Kosten des kantonalen Beschwerdeverfahrens (Gerichtskosten und Parteientschädigung) der IV-Stelle aufzuerlegen.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während das Obergericht und das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichten. A.________ hält mit Replik vom 15. Mai 2024 an seinen Rechtsbegehren und Ausführungen fest.
Erwägungen:
1.
Der vorinstanzliche Beschluss schreibt das Verfahren in einer Angelegenheit betreffend Leistungen der Invalidenversicherung am Geschäftsprotokoll ab und regelt die Gerichts- und Parteikostenfolge. Es handelt sich dabei um einen Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG einer letzten kantonalen Instanz (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG) in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a BGG). Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.
2.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Dabei legt das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann eine - für den Ausgang des Verfahrens entscheidende (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) - Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder wenn sie auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Soweit sich der vorinstanzliche Entscheid auf kantonales Recht stützt, welches nicht in Art. 95 lit. c-e BGG genannt wird, beschränkt sich die Überprüfung durch das Bundesgericht demgegenüber inhaltlich auf die erhobenen und begründeten Rügen (Art. 106 Abs. 2 BGG) und thematisch auf die Frage, ob die Anwendung des kantonalen Rechts zu einer Bundesrechtswidrigkeit führt. Überprüft werden kann insoweit nur, ob der angefochtene Entscheid auf willkürlicher Gesetzesanwendung beruht oder ob das Gesetz oder seine Anwendung sonst wie gegen übergeordnetes Recht verstösst (vgl. BGE 137 V 57 E. 1.3 mit Hinweisen). Hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht gilt eine qualifizierte Rügepflicht. Das Bundesgericht prüft eine solche Rüge nur insofern, als sie in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 136 I 49 E. 1.4.1; SVR 2018 IV Nr. 80 S. 263, 8C_304/2018, E. 1).
3.
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte, indem es die Kosten des vorinstanzlichen Verfahrens dem Beschwerdeführer auferlegt und diesem eine Parteientschädigung verwehrt hat.
3.1. Die Vorinstanz regelte die Kosten- und Entschädigungsfolgen im angefochtenen Abschreibungsbeschluss vom 22. Dezember 2023 entsprechend einem Unterliegen des Beschwerdeführers. Sie lehnte in der Stellungnahme vom 9. Januar 2024 zum Erläuterungsgesuch des Beschwerdeführers vom 4. Januar 2024 eine Anpassung des Dispositivs ab mit der Begründung, die Beschwerde hätte bezogen auf den Verfügungszeitpunkt abgewiesen werden müssen.
3.2. Der Beschwerdeführer hält dem im Wesentlichen entgegen, er habe die Beschwerde auf Empfehlung der Vorinstanz zurückgezogen, weil die Beschwerdegegnerin zumindest einen Teil seiner Leistungsbegehren, nämlich den Anspruch auf weitere berufliche Massnahmen, an der Instruktionsverhandlung ausdrücklich anerkannt, die Verfügung in diesem Punkt korrigiert und die unverzügliche Fortführung der Wiedereingliederungsbemühungen in Aussicht gestellt habe. Eine solche Anerkennung pendente lite im kantonalen Beschwerdeverfahren sei als teilweises Obsiegen der Beschwerde führenden Partei zu werten, weshalb die Verfahrenskosten der Beschwerdegegnerin als Verursacherin des Verfahrens aufzuerlegen und ihm eine Parteientschädigung zuzusprechen seien.
3.3. Die Beschwerdegegnerin macht demgegenüber geltend, sie sei anlässlich der Instruktionsverhandlung keineswegs von ihrem Rechtsstandpunkt resp. ihrer Verfügung vom 2. März 2023 abgewichen. Mit seinen dort gemachten Aussagen habe der Beschwerdeführer lediglich den geforderten Nachweis der subjektiven Eingliederungsfähigkeit erbracht, die ihn zu einer (im Grundsatz unbestrittenen) erstmaligen beruflichen Ausbildung befähigen soll. Mit diesen Erkenntnissen wäre die IV-Stelle unabhängig eines (hängigen) Gerichtsverfahrens auf eine Wiederanmeldung des Beschwerdeführers eingetreten, wie dies in der Verfügung angekündigt worden sei. Eine erneute Anmeldung sei bis anhin nicht erfolgt.
4.
Die Organisation der Gerichtsbarkeit und die Regelung des Beschwerdeverfahrens im Bereich des Sozialversicherungsrechts sind - innerhalb des durch Art. 57 und 61 ATSG vorgegebenen Rahmens - grundsätzlich Sache des kantonalen Rechts. Gemäss Art. 61 Ingress ATSG, welche Norm auch für den hier vorliegenden Bereich der Eidgenössischen Invalidenversicherung zur Anwendung gelangt (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 69 IVG), bestimmt sich das Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht - unter Vorbehalt des hier nicht einschlägigen Art. 1 Abs. 3 VwVG - nach kantonalem Recht. Es hat insbesondere den unter lit. a-i der Norm genannten Anforderungen zu genügen. Lit. f bis Teilsatz 1 ATSG deklariert in diesem Zusammenhang, dass das Verfahren bei Streitigkeiten über Leistungen kostenpflichtig ist, wenn dies im jeweiligen Einzelgesetz vorgesehen ist. Nach Art. 69 Abs. 1bis IVG ist das Beschwerdeverfahren bei Streitigkeiten über Leistungen der Invalidenversicherung vor dem kantonalen Versicherungsgericht kostenpflichtig, wobei die Kosten nach dem Verfahrensaufwand und unabhängig vom Streitwert im Rahmen von Fr. 200.- bis Fr. 1'000.- festgelegt werden. Ferner hat die obsiegende beschwerdeführende Person laut Art. 61 lit. g ATSG Anspruch auf Ersatz der Parteikosten. Diese werden vom Versicherungsgericht festgesetzt und ohne Rücksicht auf den Streitwert nach der Bedeutung der Streitsache und nach der Schwierigkeit des Prozesses bemessen. Weitergehende bundesrechtliche Vorschriften zur Auferlegung der Verfahrens- und Parteikosten finden sich im Sozialversicherungsrecht nicht (BGE 142 V 551 E. 8.1; SVR 2019 IV Nr. 92 S. 306, 9C_666/2018 E. 6.1; Urteil 9C_402/2022 vom 14. November 2022 E. 4.1 und 4.2.1).
5.
5.1. Was zunächst die Kosten des kantonalen Gerichtsverfahrens anbelangt, enthält Art. 69 Abs. 1bis IVG - anders als Art. 61 lit. g ATSG - keine Kostenverteilungsregeln, also keine Anweisungen an die kantonalen Versicherungsgerichte, nach welchen Grundsätzen sie die Verfahrenskosten auf die Parteien aufzuteilen haben. Die gesetzliche Regelung des Rechtsgrundsatzes, wonach die Gerichtskosten nach dem Erfolgsprinzip zu verteilen sind, erfolgt für die erstinstanzlichen sozialversicherungsrechtlichen Beschwerdeverfahren ausschliesslich im kantonalen Recht. Das Bundesrecht enthält weder in Art. 61 ATSG noch in einer anderen Bestimmung eine gesetzliche Normierung des Erfolgsprinzips. Das Bundesgericht darf daher die Verlegung der Gerichtskosten nur daraufhin überprüfen, ob die Anwendung der einschlägigen kantonalen Bestimmungen, sei es wegen deren Ausgestaltung oder aufgrund des Ergebnisses im konkreten Fall, zu einer Verletzung von Bundesrecht geführt hat (Art. 95 lit. a BGG). Dabei fällt praktisch nur das Willkürverbot (Art. 9 BV) in Betracht (zum Ganzen: SVR 2018 IV Nr. 80 S. 263, 8C_304/2018 E. 4.2.1 mit Hinweisen).
5.2. Gemäss Art. 34 der Verordnung des Kantons Uri vom 23. März 1994 über die Verwaltungsrechtspflege (VRPV; RB 2.2345) trägt die amtlichen Kosten im Rechtsmittel- und im Klageverfahren derjenige Beteiligte, der unterliegt oder auf dessen Rechtsmittel nicht eingetreten wird.
5.3. Der Rückzug einer Beschwerde gilt grundsätzlich als Unterliegen (vgl. SVR 2018 IV Nr. 80 S. 263, 8C_304/2018 E. 4.3.1 mit Hinweisen). Er führt nicht zur Gegenstandslosigkeit des Verfahrens, sondern zu dessen Abschreibung wegen des Rückzugs der Beschwerde, was im Ergebnis ihrer Abweisung gleichkommt (SVR 1996 UV Nr. 40 S. 123, U 134/94 E. 3b).
5.4. Bei gegebener Ausgangslage beruht es nach Gesagtem nicht auf willkürlicher Gesetzesanwendung, wenn die Vorinstanz den Beschwerdeführer nach dem Rückzug der Beschwerde als unterliegende Partei qualifiziert und ihm die Gerichtskosten auferlegt hat.
6.
Der Anspruch auf eine Parteientschädigung im Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht ist - im Gegensatz zur Kostenverlegung - bundesrechtlich geregelt, weshalb das kantonalgerichtliche Urteil durch das Bundesgericht diesbezüglich frei überprüfbar ist.
6.1. Gemäss Art. 61 lit. g ATSG hat die obsiegende beschwerdeführende Partei Anspruch auf Ersatz der Parteikosten. Nach der Rechtsprechung gilt es unter dem Gesichtspunkt des Anspruchs auf eine Parteientschädigung in einer materiellen Betrachtungsweise als Obsiegen, wenn die Rechtsstellung der Partei durch den Entscheid im Vergleich zu derjenigen im Administrativverfahren verbessert wird; dabei wird auf die im Beschwerdeverfahren gestellten Anträge Bezug genommen (BGE 132 V 215 E. 6.2; UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 4. Aufl. 2020, N. 224 zu Art. 61 ATSG; SVR 2018 IV Nr. 80 S. 263, 8C_304/2018 E. 4.3.1 mit Hinweisen). Auch bezüglich Ersatz der Parteikosten gilt ein Beschwerderückzug als Unterliegen und ist folglich von der obsiegenden Partei in der Regel keine Parteientschädigung zu bezahlen. Nicht ausgeschlossen ist auch bei einem Beschwerderückzug eine Entschädigung nach Massgabe des Verursacherprinzips (SVR 2018 IV Nr. 80 S. 263, 8C_304/2018 E. 4.3.1 und 4.3.3 mit Hinweisen).
6.2. Durch den Rückzug der Beschwerde anlässlich der Instruktionsverhandlung vom 15. Dezember 2023 hat die angefochtene Verfügung vom 2. März 2023 weiterhin Bestand; sie wurde weder korrigiert noch aufgehoben. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers hat die Beschwerdegegnerin an der Verhandlung den Anspruch auf berufliche Massnahmen nicht in dem Sinne anerkannt, als sie auf ihre Verfügung zurückgekommen wäre. Vielmehr hat sie aufgrund der Angaben und Aussagen des Beschwerdeführers anlässlich der Instruktionsverhandlung den in der Verfügung geforderten Nachweis einer Stabilität, mithin der für den im Grundsatz unbestrittenen Anspruch auf eine erstmalige berufliche Ausbildung notwendigen subjektiven Eingliederungsfähigkeit, inzwischen als gegeben erachtet und daher eine bestmögliche Unterstützung in Aussicht gestellt. Eine ungenügende Sachverhaltsabklärung seitens der Verwaltung oder eine anderweitige Rechtsfehlerhaftigkeit der Verfügung vom 2. März 2023 ist weder substanziiert dargetan noch sind Anhaltspunkte dafür ersichtlich.
6.3. Das kantonale Gericht verletzte bei dieser Ausgangslage kein Bundesrecht, wenn es den Beschwerdeführer nicht als obsiegende Partei qualifizierte und ihm - auch nach Massgabe des Verursacherprinzips - keine Parteienschädigung zusprach.
7.
Nach dem Gesagten ist die von der Vorinstanz im angefochtenen Abschreibungsbeschluss getroffene Kosten- und Entschädigungsregelung rechtens, weshalb es dabei sein Bewenden hat.
8.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Uri, Verwaltungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 28. Oktober 2024
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Wirthlin
Die Gerichtsschreiberin: Kopp Käch