9C_443/2024 07.11.2024
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
9C_443/2024
Urteil vom 7. November 2024
III. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Parrino, Präsident,
Bundesrichterinnen Moser-Szeless, Scherrer Reber,
Gerichtsschreiberin Keel Baumann.
Verfahrensbeteiligte
Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdeführerin,
gegen
A.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwalt Jürg Maron, Schaffhauserstrasse 345, 8050 Zürich,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung,
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 28. Juni 2024 (AB.2024.00011).
Sachverhalt:
A.
A.a. Die A.________ AG mit Sitz in U.________ bezweckt gemäss Handelsregistereintrag die theoretische und praktische Aus- und Weiterbildung von Verkehrsteilnehmenden. Mit der Durchführung entsprechender Kurse betraute sie Fahrlehrpersonen auf der Grundlage von Freelance-Verträgen.
A.b. Die Ausgleichskasse des Kantons Zürich, welcher die A.________ AG als Arbeitgeberin angeschlossen war, führte am 27. Mai 2015 eine Arbeitgeberkontrolle durch. Dabei hielt die zuständige Revisorin fest, dass die beschäftigten Fahrlehrpersonen keine selbstständige Erwerbstätigkeit ausüben würden und die ihnen ausbezahlten Entgelte spätestens ab 1. Januar 2016 als massgebender Lohn abzurechnen seien. In der Folge stellten die A.________ AG und die Fahrlehrpersonen ihre Zusammenarbeit auf eine neue vertragliche Basis.
A.c. Im Rahmen einer weiteren Arbeitgeberkontrolle vom 12. Januar 2018 wurde erneut festgehalten, dass die Tätigkeit der Fahrlehrpersonen als unselbstständige zu qualifizieren sei. Gestützt darauf forderte die Kasse mit Nachzahlungsverfügung vom 26. Januar 2018 von der A.________ AG für das Jahr 2016 Lohnbeiträge in der Höhe von Fr. 170'372.70 auf nicht abgerechneten Entgelten von Fr. 1'211'590.-. In einer weiteren Verfügung vom gleichen Tag verlangte sie zudem Verzugszinsen in der Höhe von Fr. 9'133.85. Einspracheweise beantragten sowohl die A.________ AG als auch die betroffenen Fahrlehrpersonen die Aufhebung der beiden Verfügungen und die Feststellung, dass die Fahrlehrpersonen als Selbstständigerwerbende, eventualiter erst ab Rechtskraft des Einspracheentscheides als Unselbstständigerwerbende einzustufen seien. Die Ausgleichskasse wies die Einsprachen ab, welche die Fahrlehrpersonen und die A.________ AG hinsichtlich der Fahrlehrpersonen erhoben hatten (Entscheid vom 17. August 2018, wobei die Kasse gleichzeitig über die Einsprachen betreffend eine hier nicht weiter interessierende Raumpflegerin der A.________ AG befand).
B.
B.a. Die A.________ AG und die betroffenen Fahrlehrpersonen erhoben gegen den Einspracheentscheid vom 17. August 2018 Beschwerde. Parallel dazu stellten sie bei der Ausgleichskasse ein Wiedererwägungsgesuch, auf welches diese nicht eintrat. In einem an die Ausgleichskasse gerichteten Schreiben ihres Rechtsvertreters vom 3. April 2019 liessen die A.________ AG und die betroffenen Fahrlehrpersonen schliesslich festhalten, was sie mit der Kasse vereinbart hatten betreffend die Modalitäten der rückwirkenden Abrechnung der von der A.________ AG für die Jahre 2016 bis 2018 als Arbeitgeberin geschuldeten Lohnbeiträge, namentlich betreffend die Anrechnung der von den betroffenen Fahrlehrpersonen für die entsprechenden Einkommen bereits als Selbstständigerwerbende geleisteten persönlichen Beiträge. Die Ausgleichskasse erklärte sich mit dem Inhalt des Schreibens einverstanden und hielt fest, dass das Revisionsverfahren damit abgeschlossen sei und wie beschrieben abgerechnet werde.
B.b. Unter Hinweis darauf, dass sich die Parteien über den Prozessgegenstand aussergerichtlich geeinigt hätten, zogen die A.________ AG und die betroffenen Fahrlehrpersonen ihre Beschwerde am 11. April 2019 zurück. In der Folge schrieb das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich den Prozess mit Verfügung vom 12. April 2019 als durch Rückzug des Rechtsmittels erledigt ab (Prozess Nr. AB.2018.00082).
B.c. Die Ausgleichskasse forderte die von den betroffenen Fahrlehrpersonen für die Jahre 2016 bis 2018 geleisteten persönlichen Beiträge als Selbstständigerwerbende bei den jeweiligen Ausgleichskassen ein. Auf dieser Grundlage ermittelte sie die für das Jahr 2016 noch geschuldeten Beiträge. Mit Rechnung vom 30. März 2020 bzw. Schlussrechnung vom 30. April 2020 forderte sie von der A.________ AG gestützt auf beitragspflichtige Entgelte von Fr. 1'481'353.70 Lohnbeiträge für das Jahr 2016 in der Höhe von Fr. 126'157.30 nach. Dabei wies sie darauf hin, dass die Verrechnung der persönlichen Beiträge abgeschlossen sei. Hiegegen liessen die A.________ AG sowie die betroffenen Fahrlehrpersonen am 19. Mai 2020 Einsprache erheben. Es wurde beantragt, in Änderung der Verfügung vom 30. März 2020 und entsprechend der Vereinbarung vom 3. April 2019 seien die gesamten von den betroffenen Fahrlehrern im Beitragsjahr 2016 geleisteten Beiträge aus selbstständiger Erwerbstätigkeit der A.________ AG anzurechnen. Weiter seien auch die gesamten von B.________ und C.________ geleisteten Beiträge der A.________ AG anzurechnen. Mit Einspracheentscheid vom 19. Dezember 2023 trat die Ausgleichskasse darauf nicht ein, dies mit der Begründung, es fehle an einem Anfechtungsobjekt, weil sich die Einsprache nicht gegen eine Verfügung, sondern gegen eine Rechnung richte.
B.d. Gegen den Nichteintretensentscheid erhob die A.________ AG am 1. Februar 2024 Beschwerde. Sie beantragte, das frühere Beschwerdeverfahren sei in Revision zu ziehen. Es sei festzustellen, dass die Kasse eine Rechtsverweigerung bzw. Rechtsverzögerung begangen habe, und die Sache sei wegen Verletzung der Ausstandsvorschriften an die Verwaltung zurückzuweisen. Eventualiter sei der Einspracheentscheid vom 19. Dezember 2023 aufzuheben und die Kasse zu verpflichten, auf die Einsprache einzutreten und das Beitragsjahr 2016 unter vollständiger Umsetzung der Vereinbarung vom 3. April 2019 korrekt abzurechnen. Mit Urteil vom 28. Juni 2024 hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Rechtsverweigerungsbeschwerde gut. Es wies die Sache an die Kasse zurück, damit diese im Sinne der Erwägungen verfahre und umgehend eine Verfügung über die Lohnbeiträge für das Jahr 2016 erlasse. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat.
C.
Die Ausgleichskasse lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und das Rechtsbegehren stellen, das Urteil vom 28. Juni 2024 sei aufzuheben, soweit die Rechtsverweigerungsbeschwerde gutgeheissen und die Sache zum Vorgehen im Sinne der Erwägungen und umgehenden Erlass einer Verfügung an sie zurückgewiesen worden sei. Damit sei auch die vorinstanzlich zugesprochene Parteientschädigung aufzuheben.
Erwägungen:
1.
Das Bundesgericht prüft die Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 146 V 331 E. 1).
2.
2.1. Die Ausgleichskasse ficht das kantonale Urteil nur insoweit an, als die Rechtsverweigerungsbeschwerde gutgeheissen und die Sache zum Vorgehen im Sinne der Erwägungen sowie zum umgehenden Verfügungserlass an sie zurückgewiesen wurde. Sie wehrt sich damit gegen die vorinstanzliche Auffassung, wonach sie verpflichtet gewesen wäre, die Einsprache vom 19. Mai 2020 als Gesuch um Erlass einer Verfügung im Sinne von Art. 51 Abs. 2 ATSG entgegenzunehmen und diesem gestützt auf Art. 49 Abs. 1 ATSG sowie Art. 39 AHVV stattzugeben.
2.2. Weil das Verfahren in dem von der Kasse beanstandeten Aspekt durch die Rückweisung nicht abgeschlossen wird, handelt es sich um einen Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG (BGE 140 V 282 E. 2; 133 V 477 E. 4.2). Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist somit nur zulässig, wenn der Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG), oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b). Nach der Rechtsprechung hat die beschwerdeführende Partei darzutun (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), dass die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Anfechtbarkeit eines Zwischenentscheides erfüllt sind, ausser es springe geradezu in die Augen, dass dies der Fall ist (BGE 149 II 170 E. 1.3; 142 V 26 E. 1.2 mit Hinweisen).
2.3. Die Ausgleichskasse äussert sich nicht zu den hier einschlägigen, bei einem Zwischenentscheid geltenden Eintretensvoraussetzungen des Art. 93 Abs. 1 lit. a oder b BGG. Es bleibt deshalb zu prüfen, ob deren Vorliegen evident ist, in welchem Fall dennoch auf die Beschwerde einzutreten wäre.
2.3.1. Der Eintretensgrund des Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG setzt - im Sinne zweier kumulativer Bedingungen - voraus, dass (erstens) das Bundesgericht selbst dem Verfahren ein für allemal ein Ende setzen könnte, falls es der Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin folgen würde, und dass sich damit (zweitens) ein langwieriges oder kostspieliges Beweisverfahren vermeiden liesse (BGE 133 III 629 E. 2.4.1 f.; Urteil 8C_464/2017 vom 20. Dezember 2017 E. 2, nicht publ. in: BGE 144 V 35, aber in: SVR 2018 FZ Nr. 1 S. 1). Er scheint hier nicht gegeben, weil die Gutheissung der Beschwerde der Ausgleichskasse zwar hinsichtlich der Rechtsverweigerung einen sofortigen Endentscheid herbeiführen würde, aber nicht ersichtlich ist, dass damit ein bedeutender Aufwand an Zeit und Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren erspart werden könnte.
2.3.2. Zu prüfen ist sodann, ob die Eintretensvoraussetzungen des Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG offensichtlich erfüllt sind.
2.3.2.1. Ein Rückweisungsentscheid kann für die beschwerdeführende Ausgleichskasse einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken, wenn er materiellrechtliche Anordnungen enthält, welche ihren Beurteilungsspielraum wesentlich einschränken, ohne dass sie die ihres Erachtens rechtswidrige neue Verfügung selber anfechten könnte (BGE 145 V 266 E. 1.3; 141 V 330 E. 1.2; 133 V 477 E. 5.2). Dies trifft hier insofern nicht zu, als der Ausgleichskasse in der sich mit dem Vorwurf der Rechtsverzögerung oder -verweigerung befassenden E. 4 des angefochtenen Urteils keine Vorgaben zum Inhalt der von ihr zu erlassenden Verfügung gemacht wurden.
2.3.2.2. Allerdings sah sich die Vorinstanz in E. 6 ihres Urteils zu abschliessenden, wie sie selber festhielt, ausserhalb des Streitgegenstandes liegenden Bemerkungen veranlasst. Dabei machte sie die Kasse darauf aufmerksam, dass das Dokument vom 3. April 2019 nicht die Beitragsschuld als solche zum Gegenstand habe, sondern allein die Form der Tilgung bzw. des Beitragsbezugs (d.h. die rückwirkende Abwicklung der Beitragsjahre 2016 bis 2018). Dass die betroffenen Fahrlehrpersonen eingewilligt hätten, die "gesamten" von ihnen bereits als Selbstständigerwerbende auf dem gleichen Beitragssubstrat geleisteten Beiträge an die paritätische Beitragsschuld anrechnen zu lassen und damit (auch) die Schuld der Arbeitgeberin (Drittschuld) zu tilgen, stelle die Beitragsschuld als solche nicht in Frage. Ebenso wenig stehe dem vereinbarten Vorgehen Rz. 3035 der Wegleitung über den Bezug der Beiträge in der AHV, IV und EO (WBB) entgegen (vgl. auch Rz. 3027 WBB in der seit 1. Januar 2024 geltenden Fassung). Ohnehin beziehe sich die entsprechende Randziffer der Wegleitung lediglich auf den Regelfall (d.h. die anteilsmässige Tilgung) und nicht auf eine Konstellation wie die hier vorliegende, in welcher eine (abweichende) Vereinbarung getroffen worden sei.
2.3.2.3. Bei E. 6 des angefochtenen Urteils, welche Bemerkungen zu einem ausserhalb des Streitgegenstandes liegenden Aspekt enthält, handelt es sich um ein sog. "obiter dictum" ("nebenbei Gesagtes"). Rechtsprechungsgemäss entfalten solche nicht entscheidtragende Äusserungen für die untere Instanz, an welche die Sache zurückgewiesen wird (d.h. hier die Ausgleichskasse), keine bindende Wirkung (Urteile 8C_609/2012 vom 8. November 2012 E. 3; 4A_205/2009 vom 12. Oktober 2009 E. 1.3.1). Zwar werden Erwägungen in Rückweisungsurteilen zu Bestandteilen des Dispositivs, wenn in diesem auf sie verwiesen wird, doch haben sie nur soweit an der formellen Rechtskraft teil, als sie zum Streitgegenstand gehören (Urteil 8C_428/2023 vom 7. Februar 2024 E. 1.2.1 mit weiteren Hinweisen, in: SVR 2024 UV Nr. 21 S. 85). Dies ist hinsichtlich der vorinstanzlichen E. 6 offensichtlich nicht der Fall. Da die entsprechenden Ausführungen im kantonalen Urteil mithin für die Ausgleichskasse nicht verbindlich sind, bewirken sie für diese auch keinen Nachteil (Urteil 8C_609/2012 vom 8. November 2012 E. 3).
2.3.2.4. Nach dem Gesagten droht der Ausgleichskasse durch das angefochtene Urteil kein (nicht wieder gutzumachender) Nachteil, weil sie nicht verpflichtet ist, die in E. 6 enthaltenen Ausführungen des kantonalen Gerichts zur Höhe der anzurechnenden Beiträge bzw. zur Zulässigkeit einer diesbezüglichen Vereinbarung im Rahmen der von ihr zu erlassenden Verfügung zu berücksichtigen. Damit liegen auch die Eintretensvoraussetzungen gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nicht auf der Hand.
2.3.3. Nach dem Gesagten ist nicht evident, dass die Eintretensvoraussetzungen des Art. 93 Abs. 1 lit. a oder b BGG erfüllt wären. Auf die Beschwerde ist deshalb nicht einzutreten.
3.
Entsprechend dem Verfahrensausgang hat die Ausgleichskasse die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 7. November 2024
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Parrino
Die Gerichtsschreiberin: Keel Baumann