9C_242/2024 04.11.2024
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
9C_242/2024
Urteil vom 4. November 2024
III. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Parrino, Präsident,
Bundesrichter Beusch, Bundesrichterin Scherrer Reber,
Gerichtsschreiberin Bögli.
Verfahrensbeteiligte
Vorsorgestiftung A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Elisabeth Glättli,
Beschwerdeführerin,
gegen
B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Remo Busslinger,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Berufliche Vorsorge,
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 23. Mai 2023 (BV.2022.13).
Sachverhalt:
A.
C.________ sel., geb. 1972, war bei der Vorsorgestiftung A.________ berufsvorsorgeversichert. Im August 2019 erkrankte sie an Krebs und erhielt deshalb ab August 2020 eine ganze Rente der Invalidenversicherung. Am 3. November 2020 unterzeichnete sie eine Begünstigtenerklärung für eine Lebenspartnerrente, in der sie festhielt, dass sie seit 1. November 2015 mit ihrem Lebenspartner B.________ in einem gemeinsamen Haushalt lebe. Am 5. November 2020 verstarb C.________ sel. Mit Schreiben vom 11. Mai 2021 lehnte die Vorsorgestiftung A.________ sowohl einen Anspruch auf Hinterlassenenrente als auch einen Anspruch auf Todesfallkapital ab. Die Parteien fanden daraufhin keine Einigung.
B.
B.________ erhob am 20. September 2022 Klage beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt und beantragte die Ausrichtung einer Lebenspartnerrente, eventualiter die Auszahlung der Todesfallsumme. Mit Urteil vom 23. Mai 2023 (versandt am 25. März 2024) hiess das Sozialversicherungsgericht die Klage teilweise gut und verpflichtete die Vorsorgestiftung A.________, B.________ ein Todesfallkapital auszurichten.
C.
Die Vorsorgestiftung A.________ lässt dagegen Beschwerde führen und die Aufhebung des angefochtenen Urteils beantragen. Es sei festzustellen, dass B.________ keinen Anspruch auf Todesfallleistungen habe. In prozessualer Hinsicht sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
B.________ lässt das Nichteintreten auf die Beschwerde beantragen, eventualiter sei diese abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei; die aufschiebende Wirkung sei nicht zuzuerkennen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG).
2.
Soweit sich der Beschwerdegegner zu den vorinstanzlichen Erwägungen betreffend die verweigerte Ausrichtung einer Lebenspartnerrente äussert, ist festzuhalten, dass er selbst keine Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts erhoben hat und die Beschwerdeführerin keine Rügen gegen die diesbezüglichen vorinstanzlichen Ausführungen erhebt. Ein Anschlussbeschwerderecht existiert nicht (BGE 145 V 57 E. 10.2); entsprechend ist nicht weiter darauf einzugehen.
3.
3.1. Gemäss Art. 20a Abs. 1 BVG kann die Vorsorgeeinrichtung in ihrem Reglement neben den Anspruchsberechtigten nach den Art. 19 (überlebender Ehegatte), 19a (eingetragene[r] Partnerin oder Partner) und 20 (Waisen) als begünstigte Personen für die Hinterlassenenleistungen vorsehen: Natürliche Personen, die von der versicherten Person in erheblichem Masse unterstützt worden sind, oder die Person, die mit dieser in den letzten fünf Jahren bis zu ihrem Tod ununterbrochen eine Lebensgemeinschaft geführt hat oder die für den Unterhalt eines oder mehrerer gemeinsamer Kinder aufkommen muss (lit. a); beim Fehlen von begünstigten Personen nach lit. a: die Kinder der verstorbenen Person, welche die Voraussetzungen nach Art. 20 nicht erfüllen, die Eltern oder die Geschwister (lit. b); beim Fehlen von begünstigten Personen nach lit. a und b: die übrigen gesetzlichen Erben, unter Ausschluss des Gemeinwesens (lit. c).
3.2. Eine Vorsorgeeinrichtung muss nicht alle der in Art. 20a Abs. 1 lit. a BVG aufgezählten Personen begünstigen und kann den Kreis der Anspruchsberechtigten enger fassen als im Gesetz umschrieben. Denn die Begünstigung der in Art. 20a Abs. 1 BVG genannten Personen gehört zur weitergehenden bzw. überobligatorischen beruflichen Vorsorge (Art. 49 Abs. 2 Ziff. 3 BVG und Art. 89a Abs. 6 Ziff. 3 ZGB). Die Vorsorgeeinrichtungen sind somit frei zu bestimmen, ob sie überhaupt und gegebenenfalls für welche dieser Personen sie Hinterlassenenleistungen vorsehen wollen. Zwingend zu beachten sind lediglich die in lit. a-c von Art. 20a Abs. 1 BVG aufgeführten Personenkategorien sowie die Kaskadenfolge. Umso mehr muss es den Vorsorgeeinrichtungen daher grundsätzlich erlaubt sein, etwa aus Gründen der Rechtssicherheit (Beweis anspruchsbegründender Umstände) oder auch im Hinblick auf die Finanzierbarkeit der Leistungen, den Kreis der zu begünstigenden Personen enger zu fassen als im Gesetz umschrieben (BGE 142 V 233 E. 1.1 mit diversen Hinweisen).
3.3. Die Beschwerdeführerin machte von der Ermächtigung gemäss Art. 20a BVG Gebrauch und regelte in ihrem Vorsorgereglement vom 1. Januar 2019 in Art. 7.4.1 die Anspruchsberechtigung auf ein Todesfallkapital - soweit vorliegend relevant - wie folgt:
"Besteht im Zeitpunkt des Todes einer aktiv versicherten Person kein Anspruch auf eine Ehegattenrente, leistet die Stiftung ein Todesfallkapital.
Der Stiftungsrat kann beschliessen, dass ausnahmsweise ein Todesfallkapital beim Tod einer invaliden Person zur Auszahlung kommt.
Anspruch auf das Todesfallkapital haben Hinterlassene unabhängig vom Erbrecht - unter Vorbehalt einschränkender gesetzlicher Bestimmungen - nach folgender Rangordnung, unter folgenden Voraussetzungen und in folgendem Umfang:
-..]
II. Von der verstorbenen Person massgeblich unterstützte und zu Lebzeiten in einer gültigen Begünstigtenerklärung gem. Art. 7.4.2 bezeichnete Person auf das volle Todesfallkapital.
Als von der verstorbenen Person massgeblich unterstützte Person gilt der in einer Lebensgemeinschaft lebende, unverheiratete Lebenspartner, sofern diese Partnerschaft mindestens seit 5 Jahren in eheähnlicher Form bestanden hat.
-..]"
4.
4.1. Die Auslegung des Reglements einer privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtung als vorformulierter Inhalt des Vorsorgevertrags geschieht nach dem Vertrauensprinzip. Dabei sind jedoch die in Bezug auf die Allgemeinen Versicherungsbedingungen geltenden Besonderheiten zu beachten, namentlich die sogenannten Unklarheits- und Ungewöhnlichkeitsregeln. Nach diesen Auslegungsgrundsätzen gilt es, ausgehend vom Wortlaut und unter Berücksichtigung des Zusammenhangs, in dem eine streitige Bestimmung innerhalb des Reglements als Ganzes steht, den objektiven Vertragswillen zu ermitteln, den die Parteien mutmasslich gehabt haben. Dabei hat das Gericht zu berücksichtigen, was sachgerecht ist, weil nicht angenommen werden kann, dass die Parteien eine unvernünftige Lösung gewollt haben (BGE 144 V 376 E. 2.2; 140 V 50 E. 2.2; SVR 2024 BVG Nr. 1 S. 1, 9C_31/2022 E. 2.2.2.2).
4.2. Das Bundesgericht prüft die Auslegung nach dem Vertrauensprinzip (und in Anwendung der Unklarheits- und Ungewöhnlichkeitsregel) als Rechtsfrage frei. Dabei ist es an die Feststellungen der Vorinstanz über die äusseren Umstände im Rahmen von Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG gebunden (BGE 140 V 50 E. 2.3 mit Hinweisen; 133 III 61 E. 2.2.1; Urteil 9C_771/2016 vom 4. Mai 2017 E. 2.4).
5.
5.1. Streitig und zu prüfen ist der Anspruch des Beschwerdegegners auf das reglementarische Todesfallkapital. Die Vorinstanz hat dazu dargelegt, gemäss Reglement komme dem Stiftungsrat bei der Auszahlung eines Todesfallkapitals bei einem invaliden Versicherten allenfalls ein Ermessensspielraum zu. Anhand der Korrespondenz sei zu schliessen, dass für den Stiftungsrat eine erwiesene massgebliche Unterstützung zentral für die Anwendung der Ausnahmebestimmung gewesen sei. Die tatsächliche massgebliche Unterstützung stelle jedoch in Bezug auf die Auszahlung des Todesfallkapitals keine Voraussetzung dar, da ein Lebenspartner nach fünf Jahren eheähnlicher Beziehung als massgeblich unterstützt gelte. Da keine weiteren Vorbehalte ausgesprochen worden seien, sei davon auszugehen, dass der Stiftungsrat auch bei einem echten Entschliessungsermessen dem Kläger das Kapital zugesprochen hätte.
5.2. Die Beschwerdeführerin hält dagegen, vorliegend komme ein Anspruch auf das Todesfallkapital nur aufgrund der Ausnahmebestimmung in Art. 7.4.1 Abs. 2 des Vorsorgereglements in Frage, da C.________ sel. zum Zeitpunkt ihres Todes nicht aktiv versichert gewesen sei. Dem Stiftungsrat werde im Vorsorgereglement ein grosser Entscheidungsspielraum eingeräumt, da abgesehen vom Wort "ausnahmsweise" keine weiteren Kriterien genannt würden, die das Ermessen einschränken würden. Es sei aufgrund der Korrespondenz offenkundig, dass der Stiftungsrat eine tatsächliche massgebliche Unterstützung als unabdingbare Voraussetzung für die Anwendung der Ausnahmebestimmung erachtet habe. Dies stelle ein sachlich gerechtfertigtes Kriterium dar, weshalb sich der Entscheid des Stiftungsrats im Rahmen einer pflichtgemässen Ermessensausübung bewege. Eine nicht erfolgte tatsächliche Unterstützung könne nicht ausschlaggebend für die Anwendung der Ausnahmebestimmung sein, da die Gewährung des Todesfallkapitals an den Lebenspartner diesfalls nicht mehr ein Ausnahmefall wäre, sondern dieser unabhängig von einer zuvor eingetretenen Invalidität des Versicherten Anspruch auf das Kapital hätte. Der Stiftungsrat habe nie den Willen gehabt, dem Beschwerdegegner als Lebenspartner voraussetzungslos das Todesfallkapital auszubezahlen. Da vorliegend die Ausnahmebestimmng zum Tragen komme, gäbe es - ausser dem Ermessen des Stiftungsrats - keine reglementarischen Voraussetzungen für die Ausrichtung eines Todesfallkapitals, was das kantonale Gericht verkannt habe. Es sei offensichtlich unrichtig und willkürlich, dass die Vorinstanz den Entscheid des Stiftungsrats massgeblich abgeändert habe. Sie sei zudem gar nicht befugt gewesen, in den Ermessensentscheid des Stiftungsrats einzugreifen.
5.3. Vorliegend hat die Vorinstanz - nicht offensichtlich unrichtig und damit für das Bundesgericht verbindlich (vgl. E. 1 hiervor) - festgestellt, dass die Versicherte und der Beschwerdegegner zum Zeitpunkt des Todes der Versicherten seit über fünf Jahren in einem gemeinsamen Haushalt lebten und eine gültige Begünstigtenerklärung vorlag, was von den Parteien auch nicht bestritten wird. Wie das Sozialversicherungsgericht korrekt festhält, enthält das Vorsorgereglement in Bezug auf die Ausnahmebestimmung in Art. 7.4.1 keine weiteren Voraussetzungen zur ausnahmsweisen Zusprache des Todesfallkapitals bei einer versicherten Person, welche vor dem Tod invalide geworden ist. Der Schluss der Vorinstanz, der Stiftungsrat habe offensichtlich keine zusätzlichen Voraussetzungen gewollt, weshalb das Todesfallkapital immer dann (und damit auch vorliegend) auszuzahlen sei, wenn die im Vorsorgereglement festgehaltenen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt seien, ist jedoch offensichtlich unrichtig und damit willkürlich. Wie die Beschwerdeführerin zu Recht darlegt, würde eine solche Schlussfolgerung den Begriff "ausnahmsweise" ad absurdum führen, da dies dazu führen würde, dass jede Person, welche Anspruch auf das Todesfallkapital einer aktiv versicherten Person hätte, diesen auch im Falle der Invalidität der versicherten Person nicht verlieren könnte. Die Ausrichtung des Todesfallkapitals beim Tod einer zuvor invaliden versicherten Person wäre demnach nicht mehr eine Ausnahme, sondern würde sich nicht mehr von der Ausrichtung des Todesfallkapitals einer aktiv versicherten Person unterscheiden.
5.4. Die Formulierung "Der Stiftungsrat kann beschliessen, dass ausnahmsweise ein Todesfallkapital beim Tod einer invaliden Person zur Auszahlung kommt" enthält keine eindeutigen Voraussetzungen für die Auszahlung des Kapitals, stellt aber klar, dass zusätzliche Voraussetzungen gegeben sein müssen, was die Vorinstanz verkannt hat. Das Abstellen auf eine tatsächliche massgebliche Unterstützung erscheint jedenfalls nicht willkürlich.
5.5. Zusammenfassend hat das kantonale Gericht demnach das Vorsorgereglement der Beschwerdeführerin entgegen dem Wortlaut ausgelegt. Damit hat es willkürlich entschieden und Bundesrecht verletzt. Die Beschwerde ist daher teilweise gutzuheissen und das angefochtene Urteil aufzuheben. Allerdings hat die Vorinstanz nicht geprüft, ob der Beschwerdegegner in tatsächlicher Weise massgeblich durch die Versicherte unterstützt worden war und damit deshalb Anspruch auf das Todesfallkapital hat, was dieser bejaht, die Beschwerdeführerin hingegen bestreitet. Entsprechend ist die Sache zur neuen Beurteilung an das Sozialversicherungsgericht zurückzuweisen.
6.
Das Gesuch um aufschiebende Wirkung wird mit dem heutigen Urteil gegenstandslos.
7.
7.1. Die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz (mit noch offenem Ausgang) gilt für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten wie auch der Parteientschädigung als vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG, unabhängig davon, ob sie beantragt und ob das entsprechende Begehren im Haupt- oder im Eventualantrag gestellt wird (BGE 141 V 281 E. 11.1; 137 V 210 E. 7.1).
7.2. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdegegner die Gerichtskosten zu tragen. Die obsiegende Beschwerdeführerin hat als mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betraute Organisation keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG; BGE 126 V 143 E. 4a mit Hinweis).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 23. Mai 2023 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 4. November 2024
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Parrino
Die Gerichtsschreiberin: Bögli