6B_700/2024 07.11.2024
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
6B_700/2024
Urteil vom 7. November 2024
I. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
Bundesrichter Denys,
Bundesrichter Rüedi,
Gerichtsschreiber Matt.
Verfahrensbeteiligte
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Güterstrasse 33, Postfach, 8010 Zürich,
Beschwerdeführerin,
gegen
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Beat Frischkopf,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Fahren in fahrunfähigem Zustand; willkürliche Beweiswürdigung,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 17. Mai 2024 (SB230457-O/U/ad).
Sachverhalt:
A.
Am 5. Juni 2023 verurteilte das Bezirksgericht Zürich A.________ wegen Fahrens in fahrunfähigem Zustand zu 20 Tagessätzen Geldstrafe à Fr. 600.-- bedingt und Fr. 2'400.-- Busse. Auf seine Berufung sprach ihn das Obergericht des Kantons Zürich am 17. Mai 2024 frei.
B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache sei zu neuer Beurteilung und Bestrafung des Beschuldigten gemäss Anklage an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei das erstinstanzliche Urteil zu bestätigen.
Erwägungen:
1.
Zur Beschwerde in Strafsachen ist berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat und ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b BGG). Darunter fällt namentlich die Staatsanwaltschaft (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 BGG). Auf die Beschwerde der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich ist - unter Vorbehalt der genügenden Begründung - einzutreten.
2.
Die Beschwerdeführerin kritisiert die Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung und in diesem Zusammenhang eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes sowie des Grundsatzes "in dubio pro reo".
2.1.
2.1.1. Die Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht, und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 147 IV 73 E. 4.1.2). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1). Dies ist der Fall, wenn der angefochtene Entscheid geradezu unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht. Dass eine andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht. Erforderlich ist, dass der Entscheid nicht nur in der Begründung, sondern auch im Ergebnis willkürlich ist (BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 88 E. 1.3.1). Für die Willkürrüge gelten erhöhte Begründungsanforderungen (Art. 97 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 2 BGG). Es genügt nicht, einen von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu behaupten oder die eigene Beweiswürdigung zu erläutern (BGE 148 V 366 E. 3.3; 137 II 353 E. 5.1 mit Hinweisen). Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 148 IV 356 E. 2.1; 205 E. 2.6; 146 IV 88 E. 1.3.1).
Dem Grundsatz "in dubio pro reo" als Beweiswürdigungsregel kommt im Verfahren vor Bundesgericht keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende Bedeutung zu (BGE 148 IV 409 E. 2.2; 146 IV 297 E. 2.2.5, 88 E. 1.3.1; 145 IV 154 E. 1.1; je mit Hinweisen).
2.1.2. Die Strafbehörden können ohne Verletzung des rechtlichen Gehörs und des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 29 Abs. 2 BV; Art. 6 Abs. 1 StPO) auf die Abnahme weiterer Beweise verzichten, wenn sie in Würdigung der bereits abgenommenen Beweise zur Überzeugung gelangen, der rechtlich erhebliche Sachverhalt sei genügend abgeklärt, und sie überdies in antizipierter Würdigung zum Schluss kommen, ein an sich taugliches Beweismittel vermöge ihre aufgrund der bereits abgenommenen Beweismittel gewonnene Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer strittigen Tatsache nicht zu erschüttern. Die Rüge unzulässiger antizipierter Beweiswürdigung prüft das Bundesgericht nur unter dem Aspekt der Willkür (BGE 146 III 73 E. 5.2.2; 144 II 427 E. 3.1.3; Urteil 6B_236/2024 vom 13. Mai 2024 E. 1.1.1).
2.2.
2.2.1. Dem Beschwerdegegner wird vorgeworfen, in der Nacht vom 19./20. Juli 2022 auf der Autobahn A1 ein Motorfahrzeug gelenkt zu haben, obwohl er zuvor Alkohol getrunken habe. Da ihn die Polizei auf einem Rastplatz, in seinem abgedunkelten Fahrzeug auf dem Fahrersitz mit heruntergelassener Rückenlehne sitzend und begleitet von Alkoholgeruch, vorfand, wurde eine Atemalkoholmessung durchgeführt. Diese ergab eine Atemalkoholkonzentration von ca. 0,94 Gewichtspromille. Anlässlich der Polizeikontrolle wurde ausserdem eine angefangene Flasche Whisky auf dem Rücksitz des Personenwagens vorgefunden.
Der Beschwerdegegner bestritt weder, sich allein im Auto befunden zu haben, noch stellt er die Alkoholmessung in Frage. Hingegen bestritt er, den Personenwagen in fahrunfähigem Zustand bzw. überhaupt auf den Rastplatz gelenkt zu haben. Vielmehr habe sein Schwiegersohn den Wagen gelenkt. Zudem habe er auf dem Rastplatz vor Eintreffen der Polizei noch Whisky getrunken.
2.2.2. Die Vorinstanz erwägt, als Beweismittel lägen einzig die Aussagen des Beschwerdegegners sowie die Alkoholmessung und der Polizeirapport vor. Da der Beschwerdegegner alleine im Fahrzeug vorgefunden worden sei, liege der Schluss nahe, dass er das Fahrzeug über die Autobahn zum Rastplatz gelenkt habe, was er aber bestreite. Der von ihm als Fahrer bezeichnete Schwiegersohn habe von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Zur Reiseroute habe der Beschwerdegegner unterschiedliche Angaben gemacht. Diese seien zudem nicht nachvollziehbar, zumal es sich weder um die schnellste noch die direkteste Route handle und sich die Reisedauer namentlich mit den Zeitangaben des Beschwerdegegners nicht in Einklang bringen lasse. Auch seine Angaben zum Grund des Halts auf dem Rastplatz seien widersprüchlich. Nachweislich falsch sei ferner die Behauptung, wonach sein Schwiegersohn auf dem Rastplatz normal parkiert habe - weil man mit einem solchen Auto (einem Aston Martin) nicht auf den Randstein fahre. In Widersprüche verwickelt habe sich der Beschwerdegegner ferner bei der Frage, wer von ihnen welche Strecke gefahren sei. Dies gelte ebenso hinsichtlich der Frage nach dem Verbleib bzw. dem Verschwinden des Schwiegersohnes von einem eingezäunten Autobahnparkplatz nachts und im Dunkeln. Auch zum Alkoholkonsum, ob vor der Fahrt, bei einem Zwischenhalt in Chur oder auf dem Rastplatz habe der Beschwerdegegner unterschiedliche Versionen deponiert.
2.2.3. Zusammenfassend hält die Vorinstanz fest, infolge der dargestellten Widersprüche, Ungereimtheiten und teilweise realitätsfremden Schilderungen liege der Schluss nahe, dass der Beschwerdegegner nicht Erlebtes erzähle. Auffallend sei vor allem, dass er jeweils - auf Widersprüche angesprochen - seine Geschichte weitergesponnen und neue Aussagen in das bisher Erzählte zu integrieren versucht habe, was ihm aber nicht ohne weitere Widersprüche gelungen sei. Da es jedoch keine direkten Beweise für das vermeintlich strafbare Verhalten des Beschwerdegegners gebe und lediglich Indizien vorlägen, lasse sich der Anklagesachverhalt nicht erstellen.
Die Auffindesituation anlässlich der Polizeikontrolle vermöge nicht ohne rechtserhebliche Zweifel den Beweis dafür zu erbringen, dass der Beschwerdegegner das Fahrzeug in angetrunkenem Zustand auf den Parkplatz gelenkt habe. Einzig aufgrund seines widersprüchlichen Aussageverhaltens könne er nicht schuldig gesprochen werden. Eines Entlastungsbeweises bedürfe es nicht, sodass die Einvernahme des Schwiegersohnes als Zeugen unterbleiben könne.
2.3. Die Beschwerde ist unbegründet.
2.3.1. Zwar rügt die Beschwerdeführerin zu Recht, dass die vorinstanzlichen Erwägungen nicht zu überzeugen vermögen. Dass die von ihr vertretene Lösung bzw. Würdigung vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt jedoch zum Nachweis von Willkür nicht (oben E. 2.1.1). Es kann nicht gesagt werden, dass das vorinstanzliche Beweisergebnis schlechterdings unhaltbar wäre. Es ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz zum Schluss gelangt, unbesehen der zahlreichen widersprüchlichen Angaben des Beschwerdegegners lasse sich nicht rechtsgenüglich erstellen, dass er das Fahrzeug in angetrunkenem Zustand auf den Parkplatz gelenkt habe. Dies würde selbst dann gelten, wenn davon ausgegangen würde, dass er alleine unterwegs war, zumal sich offenbar nicht objektiv erstellen liess, wann der Alkoholkonsum stattfand. Bereits vor diesem Hintergrund konnte eine Befragung des Schwiegersohnes als Zeugen unterbleiben. Ohnehin prüft das Bundesgericht diese Frage der antizipierten Beweiswürdigung, und insoweit auch eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes, nur unter Willkürgesichtspunkten (oben E. 2.1.2), was die Beschwerdeführerin nicht darlegt. Selbst nach ihrer Auffassung ist es trotz der Zeugenofferte des Beschwerdegegners ungewiss, ob der Schwiegersohn vor Vorinstanz ausgesagt hätte. Auch ist nicht anzunehmen, dass er den Beschwerdegegner nun plötzlich belastet hätte. Jedenfalls wäre diese Annahme nicht willkürlich.
2.3.2. Was die Beschwerdeführerin sonst vorbringt, führt zu keinem anderen Ergebnis. Dies gilt insbesondere für ihre - an sich zutreffenden - Ausführungen zum Grundsatz "in dubio pro reo". Wenngleich dieser Grundsatz erst nach der Beweiswürdigung als Ganzes zur Anwendung gelangt, bleibt es dabei, dass ihm vor Bundesgericht keine über das Willkürverbot hinausgehende Bedeutung zukommt (oben E. 2.1.1). Im Unterschied zum Sachgericht prüft es die Beweise mithin nicht frei, sodass der Verweis der Beschwerdeführerin auf Art. 10 Abs. 2 StPO an der Sache vorbeigeht.
Das vorstehend zur Willkürprüfung Gesagte gilt gleichermassen, soweit die Beschwerdeführerin - an sich ebenfalls zutreffend - darauf hinweist, dass ein Beweis auch mittels Indizien erbracht werden kann. Entgegen ihrer Auffassung muss die vorinstanzliche Beurteilung auch nicht dazu führen, dass einem Lenker mangels weiterer Beweismittel überhaupt nie das Fahren in angetrunkenem Zustand nachgewiesen werden kann. In der vorliegenden Konstellation wurde der Beschwerdegegner aber nicht in flagranti bei einer Trunkenheitsfahrt erwischt. Nicht zu hören ist die Beschwerdeführerin schliesslich, wenn sie die - von der Vorinstanz nicht verkannten - Indizien und deren Würdigung durch die Erstinstanz wiedergibt.
3.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Es sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 7. November 2024
Im Namen der I. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
Der Gerichtsschreiber: Matt