1C_363/2024 29.10.2024
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
1C_363/2024
Urteil vom 29. Oktober 2024
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Kneubühler, Präsident,
Bundesrichter Haag, Müller,
Gerichtsschreiber Mösching.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
gegen
Grosser Rat des Kantons Wallis,
Rue du Grand-Pont 4, 1950 Sitten,
Staatsrat des Kantons Wallis,
Regierungsgebäude, Avenue de France 71, 1950 Sitten.
Gegenstand
Ermittlung der absoluten Mehrheit bei der Abstimmung vom 3. März 2024 über die neue Kantonsverfassung (Kostenauflage),
Beschwerde gegen den Entscheid des Grossen Rates betreffend Ermittlung der absoluten Mehrheit bei der Abstimmung des Kantons Wallis vom 16. Mai 2024 (3. März 2024 über die neue Kantonsverfassung [Kostenauflage]).
Sachverhalt:
A.
A.________ erhob am 20. Februar 2024 sowohl beim Staatsrat des Kantons Wallis als auch beim Grossen Rat des Kantons Wallis Beschwerde gegen die auf den 3. März 2024 angesetzte Volksabstimmung über die neue Walliser Kantonsverfassung vom 25. April 2023. Er verlangte, dass entgegen den Ausführungen in der amtlichen Abstimmungsbroschüre die leeren und ungültigen Stimmzettel bei der Festlegung des absoluten Mehrs nicht berücksichtigt werden; andernfalls würden diese Stimmen wie Nein-Stimmen behandelt, was gegen den Anspruch auf unverfälschte Stimmabgabe gemäss Art. 34 BV verstossen würde.
Am 3. März 2024 fand die Volksabstimmung über die Verfassung des Kantons Wallis statt. Der Entwurf der Verfassung wurde mit 94'736 Nein-Stimmen (68,13 %) zu 37'783 Ja-Stimmen (27,17 %) abgelehnt. Die Variante des Entwurfs der Verfassung wurde mit 79'324 Nein-Stimmen (57,04 %) zu 49'776 Ja-Stimmen (35,79 %) abgelehnt. Die restlichen Stimmen waren jeweils leer oder ungültig.
Während der Staatsrat mit Beschluss vom 28. Februar 2024 auf die Beschwerde von A.________ mangels Zuständigkeit nicht eintrat, zog dieser seine Beschwerde beim Grossen Rat - mit Blick auf das Abstimmungsergebnis - am 4. März 2024 zurück.
B.
Der Grosse Rat hat, gestützt auf einen Bericht und Antrag der Justizkommission vom 22. April 2024, das Beschwerdeverfahren mit Entscheid vom 16. Mai 2024 (datiert vom 17. Mai 2024) infolge Gegenstandslosigkeit als erledigt abgeschrieben und A.________ die "Kosten von Verfahren und Entscheid" in der Höhe von Fr. 200.-- auferlegt (Dispositiv-Ziff. I/Art. 3).
C.
Am 15. Juni 2024 gelangt A.________ mit Beschwerde ans Bundesgericht; er beantragt die Aufhebung der Dispositiv-Ziff. I/Art. 3 des Entscheids des Grossen Rates vom 16. Mai 2024 und die Rückerstattung des gesamten Kostenvorschusses.
Der Grosse Rat beantragt am 22. August 2024 die kostenfällige Abweisung der Beschwerde. Der Staatsrat verzichtet auf die Einreichung einer Stellungnahme. A.________ hat am 3. September 2024 repliziert.
Erwägungen:
1.
Angefochten ist ein Entscheid über die Abschreibung eines Stimmrechtsbeschwerdeverfahrens vor dem Grossen Rat des Kantons Wallis infolge Beschwerderückzugs.
1.1. Der Entscheid des Grossen Rates vom 16./17. Mai 2024 ist kantonal letztinstanzlich und kann gemäss Art. 88 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 BGG direkt beim Bundesgericht angefochten werden (vgl. Urteil 1C_495/2012 vom 12. Februar 2014 E. 1.1, nicht publ. in: BGE 140 I 107). Es gilt der Grundsatz der Einheit des Rechtsmittels (bzw. des Verfahrens oder des Prozesses); demnach kann Beschwerde gegen den Entscheid über die Verfahrenskosten erhoben werden, soweit sie auch in der Hauptsache zulässig ist (vgl. BGE 133 III 645 E. 2; Urteile 2C_816/2020 vom 18. Mai 2021 E. 1.1; 2C_445/2009 vom 23. Februar 2010 E. 1; je mit Hinweisen).
1.2. Da der im Wallis stimmberechtigte Beschwerdeführer am vorinstanzlichen Verfahren als Partei teilgenommen hat und er durch die Auferlegung von Verfahrenskosten beschwert ist, ist er nach Art. 89 BGG zur Beschwerdeführung berechtigt.
1.3. Auf die ihm Übrigen form- und fristgerecht eingereichte Beschwerde ist demnach einzutreten (Art. 42 Abs. 2 und Art. 100 Abs. 1 BGG).
2.
Bei der Beschwerde in Stimmrechtssachen prüft das Bundesgericht nicht nur die Auslegung von Bundesrecht und von kantonalem Verfassungsrecht frei, sondern auch diejenige anderer kantonaler Vorschriften, welche den Inhalt des Stimm- und Wahlrechts normieren oder mit diesem in engem Zusammenhang stehen (vgl. Art. 95 lit. a, c sowie d BGG). Demgegenüber prüft es die Anwendung anderer kantonaler Vorschriften und die Feststellung des Sachverhalts nur unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbots (BGE 149 I 291 E. 3.1; 141 I 221 E. 3.1; je mit Hinweisen).
3.
Der (anwaltlich nicht vertretene) Beschwerdeführer macht geltend, dass die Vorinstanz für die Auferlegung von Verfahrenskosten über keine Rechtsgrundlage verfüge. Damit rügt er sinngemäss eine Verletzung des Legalitätsprinzips im Abgaberecht.
Die Vorinstanz bestreitet das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage für die beanstandete Kostenauflage nicht. Indes bringt sie vor, die Kosten- und Entschädigungsfrage werde bei Abschreibung infolge Gegenstandslosigkeit mangels einer Regelung im Gesetz entsprechend den allgemeinen Rechtsgrundsätzen danach beurteilt, wie sich die Prozessaussichten nach dem Stand der Streitsache vor der Gegenstandslosigkeit dargeboten hätten. Weiter macht sie geltend, der Beschwerdeführer habe seine Beschwerde aufgrund des deutlichen Abstimmungsresultats als aussichtslos anerkannt und die Gegenstandslosigkeit des Verfahrens durch seinen Beschwerderückzug verursacht. Aus diesem Grund seien ihm die Kosten von Verfahren und Entscheid aufzuerlegen. Die Kosten seien aufgrund des frühen Rückzugs der Beschwerde reduziert worden.
3.1. Im Abgaberecht bildet das Legalitätsprinzip ein selbständiges verfassungsmässiges Recht, dessen Verletzung unmittelbar gestützt auf Art. 127 Abs. 1 BV geltend gemacht werden kann. Es erfasst alle Erscheinungsformen öffentlich-rechtlicher Abgaben von Bund, Kantonen und Gemeinden (BGE 143 I 227 E. 4.2; 142 II 182 E. 2.2.1; je mit Hinweisen) und verlangt, dass der Kreis der Abgabepflichtigen, der Gegenstand der Abgabe und deren Bemessung in den Grundzügen im formellen Gesetz enthalten sein müssen (BGE 149 II 177 E. 8.3.2; 148 II 121 E. 5.1; 146 II 97 E. 2.2.4; je mit Hinweisen; Botschaft vom 20. November 1996 über eine neue Bundesverfassung, BBl 1997 I 346 [zu Art. 118 E-BV]).
3.2. Die streitbetroffene Gebühr betrifft eine in einem Beschwerdeverfahren vor dem Grossen Rat erhobene Verwaltungsgebühr, ähnlich einer Gerichtsgebühr. Gerichtsgebühren sind Kausalabgaben, die ihren Grund in der Inanspruchnahme einer staatlichen Leistung haben (BGE 145 I 52 E. 5.2; 143 I 227 E. 4.3.1; 124 I 241 E. 4a; je mit Hinweisen). Zwar hat die Rechtsprechung die Anforderungen bezüglich der gesetzlichen Bestimmung der Abgabenhöhe namentlich bei Gerichtsgebühren gelockert, deren Höhe sich anhand der verfassungsmässigen Grundsätze der Kostendeckung und der Äquivalenz überprüfen lässt (BGE 145 I 52 E. 5.2.1; 143 I 227 E. 4.2.1 S. 233; je mit Hinweisen). Indes ist immer eine gesetzliche Grundlage erforderlich, auch wenn gegebenenfalls eine relativ offene formell-gesetzliche Delegationsnorm an den Verordnungsgeber genügt (vgl. BGE 145 I 52 E. 5.3 mit Hinweisen; zum Ganzen: Tschannen/Müller/Kern, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2022, N. 1655; Marcel Bolz, Die gesetzliche Grundlage für staatliche Gebühren, in: Das Legalitätsprinzip in Verwaltungsrecht und Rechtsetzungslehre, 2017, S. 129 ff.).
3.3. Vorliegend ist unbestritten, dass es für die dem Beschwerdeführer auferlegte Gebühr keine gesetzliche Grundlage gibt, weder im formellen Sinn noch auf Verordnungs- oder Reglementsebene. Der Bericht der Justizkommission an den Grossen Rat vom 22. April 2024 hat in diesem Zusammenhang noch das kantonale Gesetz vom 6. Oktober 1976 über das Verwaltungsverfahren und die Verwaltungsrechtspflege (VVRG/VS; SGS 172.6) angeführt. Im Memorial des Grossen Rates zur ordentlichen Maisession 2024 wird indes ausdrücklich eingeräumt, es bestünde keine gesetzliche Grundlage für das Erheben der Gebühr. Zu Recht, denn Art. 2 lit. c VVRG/VS sieht ausdrücklich vor, dass dieses Gesetz keine Anwendung findet, wenn der Rechtsweg an den Grossen Rat offen steht. Eine andere in Frage kommende Rechtsgrundlage führt die Vorinstanz nicht an und ist auch nicht ersichtlich.
Zwar lässt das Legalitätsprinzip im Abgaberecht - wie gesehen - durchaus zu, dass es unter Umständen genügt, wenn die Gebühren nur dem Grundsatz nach im Gesetz verankert sind. In diesem Zusammenhang hat die Rechtsprechung das Kostendeckungs- und das Äquivalenzprinzip entwickelt, welche bei einer relativ offenen gesetzlichen Grundlage die Überprüfung der Angemessenheit einer Kostenauflage im Einzelfall erlauben sollen (vgl. BGE 145 I 52 E. 5.2.2 und E. 5.2.3; 141 I 105 E. 3.3.2; 106 Ia 249 E. 3a; je mit Hinweisen). Indes macht auch die Vorinstanz nicht geltend, die genannten Prinzipien könnten eine gesetzliche Grundlage vollständig ersetzen; solches wäre - abgesehen vom hier nicht gegebenen Fall ausgesprochener Bagatellgebühren (zu den Kanzleigebühren vgl. Urteil 1C_411/2020 vom 29. September 2021 E. 2.4.1) - nicht zulässig.
Auch das Verursacherprinzip ändert am Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage nichts. Der dem Grossen Rat durch die Beschwerde entstandene Aufwand mag zwar ausgewiesen sein; indes lässt er sich nicht ohne Rechtsgrundlage dem Verursacher überbinden.
3.4. Mithin erweist sich die Beschwerde als begründet und ist gutzuheissen; der angefochtene Entscheid ist hinsichtlich der Kostenauflage an den Beschwerdeführer aufzuheben. Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4). Da der Beschwerdeführer nicht anwaltlich vertreten war, ist ihm keine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 Abs. 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und Dispositiv-Ziff. I/Art. 3 des Entscheids des Grossen Rates vom 16./17. Mai 2024 wird aufgehoben.
2.
Es werden weder Gerichtskosten erhoben noch eine Parteientschädigung zugesprochen.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Grossen Rat des Kantons Wallis und dem Staatsrat des Kantons Wallis schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 29. Oktober 2024
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Kneubühler
Der Gerichtsschreiber: Mösching