6B_1005/2023 10.03.2025
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
6B_1005/2023
Urteil vom 10. März 2025
I. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Muschietti, als präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter von Felten,
Bundesrichterin Wohlhauser,
Gerichtsschreiberin Fildir.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Guy Reich,
Beschwerdeführer,
gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Güterstrasse 33, Postfach, 8010 Zürich,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Vorsätzliche grobe Verletzung der Verkehrsregeln,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 12. Juni 2023 (SB230093-O/U/cwo).
Sachverhalt:
A.
A.________ wird vorgeworfen, bei einem Überholmanöver am 31. Juli 2021 den Personenwagen BMW 535i xDrive ausserorts mit einer Geschwindigkeit von 110 km/h (nach Abzug von 4 km/h Sicherheitsmarge) gelenkt, dabei die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 30 km/h überschritten und eine deutlich erhöhte abstrakte Unfallgefahr für sich und andere Verkehrsteilnehmer geschaffen zu haben.
B.
Mit Urteil vom 15. November 2022 sprach das Bezirksgericht Meilen A.________ der vorsätzlichen groben Verletzung der Verkehrsregeln schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu Fr. 500.-- sowie zu einer Busse von Fr. 1'800.--. Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte am 12. Juni 2023 den erstinstanzlichen Schuldspruch und verurteilte A.________ zu einer bedingten Geldstrafe von 12 Tagessätzen zu Fr. 500.-- sowie zu einer Busse von Fr. 1'500.--.
C.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 12. Juni 2023 sei aufzuheben und er vom Vorwurf der vorsätzlichen groben Verkehrsregelverletzung freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen:
1.
1.1. Der Beschwerdeführer beanstandet zunächst die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz. Zusammengefasst bringt er vor, die Lasergeschwindigkeitsmessung der Kantonspolizei Zürich sei unverwertbar, weil das Gerät ohne die vom Hersteller im Rahmen der Prüfung der Visiereinrichtung vorgesehene Justierung des Fadenkreuzes eingesetzt worden sei. Das auf dem Messvideo sichtbare Fadenkreuz sei nicht auf das Fahrzeug, sondern auf den Boden gerichtet gewesen. Zwar sei die Rubrik "Gerätetest" im Messprotokoll angekreuzt worden; man wisse aber weder, wer das Kreuz gesetzt habe, noch, ob es standardgemäss auf dem Formular vorhanden sei. Jedenfalls beziehe es sich offenbar nicht auf alle Tests gemäss Bedienungsanleitung. Vor diesem Hintergrund stelle die Abweisung seines Antrags, den Messbeamten als Zeugen zu befragen, einen Fehler dar. Der Sachverhalt sei nicht ausreichend abgeklärt worden.
1.2. Die Vorinstanz geht von der Gültigkeit der Geschwindigkeitsmessung aus und stützt sich dabei unter anderem auf das Eich- und Zulassungszertifikat des eingesetzten Lasermessgeräts und das Gutachten des beigezogenen Sachverständigen vom Eidgenössischen Institut für Metrologie (METAS). Die Frage, ob ein Gerätetest vorschriftsgemäss durchgeführt worden sei, sei bloss mittelbar für die Beurteilung der Verlässlichkeit einer Geschwindigkeitsmessung relevant. Vorliegend bestünden keine Zweifel daran, dass der Beschwerdeführer seinen Personenwagen anklagegemäss ausserorts mit einer Geschwindigkeit von 110 km/h gelenkt und dabei die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 30 km/h überschritten habe. Auf eine Einvernahme des Messbeamten könne verzichtet werden.
1.3.
1.3.1. Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig bzw. willkürlich ist oder auf einer Rechtsverletzung beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Willkür im Sinne von Art. 9 BV liegt vor, wenn die vorinstanzliche Beweiswürdigung schlechterdings unhaltbar ist, das heisst, wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen oder auf einem offenkundigen Fehler beruhen. Dass eine andere Lösung ebenfalls möglich erscheint, genügt nicht. Die Willkürrüge muss in der Beschwerde explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 148 IV 356 E. 2.1; 146 IV 88 E. 1.3.1).
Wer zur amtlichen Feststellung von Sachverhalten im Rahmen von Strassenverkehrskontrollen ein Messsystem verwendet, muss sicherstellen, dass es den rechtlichen Anforderungen entspricht und dass die Verfahren zur Erhaltung der Messbeständigkeit durchgeführt werden. Dies betrifft insbesondere allfällige Vorschriften über die Zulassung, die Eichung und die Kennzeichnung von Messsystemen. Die im Rahmen der Zulassung festgelegten Verwendungszwecke, Betriebsbedingungen und Auflagen sowie die Bedienungsanleitung des Herstellers sind zu beachten (Art. 3 Abs. 2 und 3 der Verordnung des ASTRA zur Strassenverkehrskontrollverordnung, VSKV-ASTRA; SR 741.013.1).
1.3.2. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung gewährleistet das Eichzertifikat grundsätzlich das vorschriftsgemässe und zuverlässige Funktionieren eines Messgeräts (vgl. Urteile 6B_742/2024 vom 8. November 2024 E. 5.4; 6B_933/2022 vom 8. Mai 2023 E. 2.4; 6B_592/2018 vom 13. August 2018 E. 1.3; je mit Hinweisen). Vorliegend wird nicht bestritten, dass das verwendete Messmittel zum Zeitpunkt der Messung geeicht war. Der Beschwerdeführer macht jedoch geltend, die Visiereinrichtung sei vor der Messung nicht wie vom Hersteller vorgeschrieben getestet worden, weshalb das Gerät nicht hätte eingesetzt werden dürfen. Diesbezüglich ist den vorinstanzlichen Erwägungen zu entnehmen, die Ausrichtung des Fadenkreuzes der Visiervorrichtung werde bei der jährlichen Eichung überprüft und der Messbeamte nehme vor jeder Messserie "den Gerätetest" vor; auch im vorliegenden Fall habe der zuständige Beamte, B.________, die Durchführung "des vorgeschriebenen Gerätetests" unterschriftlich auf dem Messprotokoll bestätigt. Zwar bringt der Beschwerdeführer dagegen vor, nach der Bedienungsanleitung des Geräts müsse bei der Prüfung der Visiereinrichtung auch das Fadenkreuz auf dem Monitor justiert werden, was gemäss angefochtenem Urteil nicht Gegenstand der jährlichen Eichprüfung ist. Ob alle erforderlichen Funktionstests nachgewiesenermassen durchgeführt wurden, kann aber letztlich offenbleiben, da das fehlerfreie Funktionieren des Messgeräts erstellt ist (vgl. Urteile 6B_742/2024 vom 8. November 2024 E. 5.3.1; 6B_933/2022 vom 8. Mai 2023 E. 2.4; 6B_937/2013 vom 23. September 2014 E. 1.4) : Der Sachverständige bestätigte in seinem Gutachten die technische Korrektheit und Plausibilität der Messung. Gestützt auf dieses Gutachten legt die Vorinstanz nachvollziehbar dar, dass die vom Beschwerdeführer beanstandete Verschiebung des auf dem Messvideo sichtbaren Fadenkreuzes die Messung nicht beeinflusse: Der Messbeamte ziele nicht damit auf das zu messende Fahrzeug, sondern durch eine separate Visiervorrichtung; die Videoaufnahme und das in dieser ersichtliche Fadenkreuz dienten einzig dazu, das vom Messgerät über die Visiervorrichtung anvisierte Objekt zweifelsfrei zu identifizieren. Dass die Messung ein anderes Objekt als das Fahrzeug des Beschwerdeführers betroffen haben könnte, macht (e) dieser weder im vorinstanzlichen Verfahren noch vor Bundesgericht geltend. Mangels Hinweisen für eine Fehlfunktion oder -bedienung durfte die Vorinstanz somit auf eine Einvernahme des Messbeamten verzichten und auf die vorgenommene Geschwindigkeitsmessung abstellen.
2.
2.1. Der Beschwerdeführer wendet sich weiter gegen die rechtliche Würdigung des Sachverhalts als grobe Verkehrsregelverletzung (Art. 90 Abs. 2 SVG). Im Wesentlichen trägt er vor, aufgrund der guten Witterungs-, Strassen- und Verkehrsverhältnisse sei nicht ersichtlich, worin die erhöhte abstrakte Gefährdung bestanden haben solle. Auch in subjektiver Hinsicht sei nicht von Rücksichtslosigkeit auszugehen. Der überholte Lenker habe ihn in eine gefährliche Situation gebracht, in der er sich schnell für einen Ausweg habe entscheiden müssen.
2.2. Die Vorinstanz führt aus, die vom Bundesgericht festgelegten Grenzwerte bezögen sich gerade auf gute Witterungs-, Strassen- und Verkehrsverhältnisse. Hinzu komme, dass der Geschwindigkeitsexzess im Rahmen eines Überholmanövers begangen worden sei, bei dem der Lenker des überholten Fahrzeugs stark beschleunigt habe, woraufhin der Beschwerdeführer noch schneller gefahren sei. Dies habe die abstrakte Unfallgefahr, die bereits allein aufgrund der gefahrenen Geschwindigkeit von 110 km/h bestanden habe, um ein Vielfaches erhöht. Auch der subjektive Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG sei ohne Weiteres erfüllt. Der Beschwerdeführer habe mindestens eventualvorsätzlich gehandelt.
2.3.
2.3.1. Nach ständiger Rechtsprechung sind die objektiven - und grundsätzlich auch die subjektiven - Voraussetzungen der groben Verkehrsregelverletzung (Art. 90 Abs. 2 SVG) ungeachtet der konkreten Umstände zu bejahen, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf einer nicht richtungsgetrennten Strasse ausserorts um 30 km/h oder mehr überschritten wird (BGE 150 IV 242 E. 1.1.1; 143 IV 508 E. 1.3). Von einer objektiv groben Verkehrsregelverletzung ist grundsätzlich auf ein zumindest grobfahrlässiges Verhalten zu schliessen. Die Rücksichtslosigkeit ist ausnahmsweise zu verneinen, wenn besondere Umstände vorliegen, die das Verhalten subjektiv in einem milderen Licht erscheinen lassen (Urteile 6B_272/2023 vom 2. Oktober 2024 E. 1.3.1; 6B_180/2023 vom 27. Juni 2024 E. 3.2; 6B_1235/2021 vom 23. Mai 2022 E. 1.4.2; je mit Hinweisen).
2.3.2. Die Vorinstanz nimmt zutreffend an, dass das Fahrverhalten des Beschwerdeführers den objektiven Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG erfüllt. Sie verneint auch zu Recht das Vorliegen besonderer Umstände, welche die Geschwindigkeitsüberschreitung in einem milderen Licht erscheinen lassen würden. Gute Witterungs-, Strassen- und Verkehrsverhältnisse stellen keine besonderen Umstände im Sinne der Rechtsprechung dar (Urteile 6B_180/2023 vom 27. Juni 2024 E. 3.2; 6B_55/2024 vom 11. März 2024 E. 2.3; 6B_466/2022 vom 9. September 2022 E. 3.4; je mit Hinweisen). Ohnehin befand sich der Beschwerdeführer, wie die Vorinstanz feststellt und er selbst anerkennt, in einer Situation erhöhter Gefahr, als er die Geschwindigkeitsüberschreitung beging: bei einem Überholmanöver, bei dem sich der Überholte "ein eigentliches Rennen" mit ihm liefern wollte. Was der Beschwerdeführer aus dem Hinweis auf ebendiese (gefährliche) Überholsituation zu seinen Gunsten ableiten will, ist nicht ersichtlich. Ebenso wenig erhellt der Verweis auf ein nicht näher bezeichnetes "Präjudiz" oder auf das Urteil BGE 149 II 96, welches nicht eine Geschwindigkeitsüberschreitung, sondern das Rechtsüberholen betraf. Die Vorinstanz wertet das Fahrverhalten des Beschwerdeführers zu Recht als rücksichtslos.
3.
3.1. Schliesslich rekurriert der Beschwerdeführer auf BGE 97 IV 161 und macht sinngemäss geltend, durch das Beschleunigen des überholten Lenkers in eine gefährliche Situation geraten zu sein und in entschuldbarem Notstand gehandelt zu haben.
3.2. Die Vorinstanz verneint das Vorliegen einer Notstandslage. Der Beschwerdeführer habe sich nicht in einer besonderen Drucksituation befunden; insbesondere sei ihm kein Fahrzeug entgegengekommen. Es sei ihm ohne Weiteres möglich gewesen, das Überholmanöver abzubrechen und hinter dem anderen Fahrzeug einzulenken.
3.3.
3.3.1. Nach Art. 17 StGB handelt rechtmässig, wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um ein eigenes oder das Rechtsgut einer anderen Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr zu retten, wenn er dadurch höherwertige Interessen wahrt (rechtfertigender Notstand). Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben (Art. 18 Abs. 1 StGB). War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft (Art. 18 Abs. 2 StGB; entschuldbarer Notstand). Sowohl der rechtfertigende als auch der entschuldbare Notstand stehen unter der Voraussetzung der absoluten Subsidiarität (vgl. BGE 146 IV 297 E. 2.2.1).
Nach der Rechtsprechung ist Notstand bei einer erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung nur mit grosser Zurückhaltung anzunehmen (eingehend dazu BGE 116 IV 364 E. 1a; Urteile 6B_322/2022 vom 25. August 2022 E. 2.2.1; 6B_729/2021 vom 1. November 2021 E. 2.2; 6B_231/2016 vom 21. Juni 2016 E. 2.2; je mit Hinweisen).
3.3.2. Mit der Vorinstanz erscheint bereits fraglich, ob sich der Beschwerdeführer überhaupt in einer Notstandslage befand, was aber letztlich offenbleiben kann, weil jedenfalls die weiteren Voraussetzungen des Notstands nicht erfüllt sind: Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, hätte der Beschwerdeführer das Überholmanöver ohne Weiteres abbrechen können, als er merkte, dass der überholte Lenker beschleunigte. Was er dagegen unter Berufung auf BGE 97 IV 161 E. 3 einwendet, überzeugt nicht. Zwar ist es nach der Rechtsprechung entschuldbar, wenn der Fahrzeugführer, der sich durch das Verhalten eines anderen plötzlich in eine gefährliche Lage versetzt sieht, von verschiedenen möglichen, annähernd gleichwertigen Massnahmen nicht diejenige ergreift, welche bei nachträglicher längerer Überlegung als die objektiv zweckmässigere erscheint (vgl. BGE 97 IV 161 E. 3; 83 IV 84; Urteile 6B_58/2024 vom 8. August 2024 E. 1.3.2; 6B_982/2023 vom 3. April 2024 E. 1.3.2; 6B_351/2017 vom 1. März 2018 E. 1.4; vgl. auch BGE 95 IV 84 E. 2b; je mit Hinweisen). Die vom Beschwerdeführer ergriffene Massnahme - noch stärkeres Beschleunigen - war aber nicht, wie er vorbringt, "mindestens" oder auch nur annähernd gleichwertig wie das offensichtlich naheliegende Abbrechen des Überholmanövers und Einscheren hinter dem anderen Fahrzeug, sondern erschien von vornherein als gefährlich. Entsprechend verletzt die Vorinstanz kein Bundesrecht, wenn sie den Beschwerdeführer der groben Verkehrsregelverletzung schuldig erklärt.
4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 10. März 2025
Im Namen der I. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Muschietti
Die Gerichtsschreiberin: Fildir