6B_226/2025 18.03.2025
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
6B_226/2025
Urteil vom 18. März 2025
I. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Muschietti, als präsidierendes Mitglied,
Gerichtsschreiber Boller.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Advokat Dr. Andreas Noll,
Beschwerdeführer,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft, Erste Staatsanwältin, Grenzacherstrasse 8, 4132 Muttenz,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Rückzug der Berufung (Rückzugsfiktion); rechtliches Gehör, Recht auf ein faires Verfahren, Garantie einer wirksamen Verteidigung etc.; Nichteintreten,
Beschwerde gegen den Beschluss des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, vom 22. April 2024 (460 23 127).
Das präsidierende Mitglied zieht in Erwägung:
1.
Das Strafgericht Basel-Landschaft sprach A.________ am 26. April 2023 in seiner Abwesenheit des mehrfachen, teilweise versuchten Betrugs, der mehrfachen Hinderung einer Amtshandlung, der mehrfachen, teilweise versuchten Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, der mehrfachen Fälschung amtlicher Wertzeichen, der falschen Anschuldigung, der mehrfachen einfachen Verletzung der Verkehrsregeln, des mehrfachen Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen, des Ungehorsams des Schuldners im Betreibungsverfahren, des mehrfachen Missbrauchs von Ausweisen und Schildern, des mehrfachen Fahrens ohne Berechtigung, der mehrfachen Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit sowie der Sachbeschädigung schuldig. Es belegte ihn mit einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungshaft, einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen zu je Fr. 30.-- sowie einer Busse von Fr. 900.--, je als Zusatzstrafe und teilweise Zusatzstrafe zu zwei vorher ergangenen Urteilen. In einem Anklagepunkt sprach es ihn von den Vorwürfen der Hinderung einer Amtshandlung und rechtswidrigen Einreise frei und stellte es das Verfahren wegen einfacher Verletzung der Verkehrsregeln infolge Eintritts der Verfolgungsverjährung ein. Es verwies im Weiteren die anhängig gemachte Zivilforderung auf den Zivilweg, ordnete die Landesverweisung von A.________ für die Dauer von sieben Jahren an und entschied über die Verwendung beschlagnahmter Gegenstände.
A.________ meldete selbständig Berufung an. Sein bisheriger und für das Berufungsverfahren erneut eingesetzter amtlicher Verteidiger, Advokat B.________, reichte in der Folge "interessenwahrend" die Berufungserklärung ein. Das Kantonsgericht Basel-Landschaft schrieb das Berufungsverfahren mit Beschluss vom 22. April 2024 in Anwendung von Art. 407 Abs. 1 lit. c StPO i.V.m. Art. 87 Abs. 2 StPO infolge Rückzugs der Berufung (Rückzugsfiktion) als gegenstandslos ab, weil A.________ mangels Erreichbarkeit für seinen amtlichen Verteidiger und Bezeichnung eines Zustelldomizils in der Schweiz nicht habe vorgeladen werden können. Es stellte damit einhergehend die Rechtskraft des Urteils des Strafgerichts fest.
2.
A.________ führt mit Eingabe vom 5. März 2025 Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt die vollumfängliche Aufhebung des Abschreibungsbeschlusses des Kantonsgerichts vom 22. April 2024 und Rückweisung der Sache an die zuständige kantonale Instanz zur Wiederholung des gesamten gerichtlichen Verfahrens, eventualiter des kantonsgerichtlichen Verfahrens, unter Gewährleistung einer wirksamen amtlichen Verteidigung. In prozessualer Hinsicht beantragt er, es sei festzustellen, dass seiner Beschwerde von Amtes wegen die aufschiebende Wirkung zukomme, und es sei ihm die Möglichkeit einzuräumen, auf allfällige Vernehmlassungen zu replizieren. Für den Fall der Kostenauflage ersucht er zugleich um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren.
3.
3.1. Das Bundesgericht prüft die Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen (Art. 29 Abs. 1 BGG) und mit freier Kognition (BGE 150 IV 103 E. 1; 149 IV 97 E. 1, 9 E. 2).
Die Beschwerde in Strafsachen ist innert 30 Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung des angefochtenen Entscheids beim Bundesgericht einzureichen (Art. 100 Abs. 1 BGG). Im Falle der elektronischen Einreichung nach Art. 42 Abs. 4 BGG ist für die Fristwahrung der Zeitpunkt massgebend, in dem die Quittung ausgestellt wird, die bestätigt, dass alle Schritte abgeschlossen sind, die auf der Seite der Partei für die Übermittlung notwendig sind (Art. 48 Abs. 2 BGG).
3.2. Der angefochtene Beschluss vom 22. April 2024 wurde dem damaligen amtlichen Verteidiger des Beschwerdeführers gemäss der postalischen Sendungsverfolgung am 26. Juni 2024 zugestellt. Die 30-tägige Beschwerdefrist von Art. 100 Abs. 1 BGG, die am 27. Juni 2024 zu laufen begann (Art. 44 Abs. 1 und 2 BGG) und unter Berücksichtigung des Fristenstillstands (Art. 46 Abs. 1 lit. b BGG) am 27. August 2024 endete, ist mit der mehr als ein halbes Jahr später am 5. März 2025 elektronisch eingereichten Beschwerde nicht eingehalten. Umstände, die einen Eröffnungsmangel zu begründen vermöchten, der diesem Fristenlauf entgegenstünde, macht der Beschwerdeführer nicht geltend und sind nicht ersichtlich. Insbesondere bleibt festzuhalten, dass der damalige amtliche Verteidiger des Beschwerdeführers von der Vorinstanz mit Verfügung vom 9. August 2023 als solcher für das Berufungsverfahren eingesetzt worden war und der angefochtene Beschluss zu Recht ihm als Rechtsvertreter des Beschwerdeführers zugestellt wurde (vgl. angefochtener Beschluss lit. G S. 3; Art. 87 Abs. 3 StPO).
Wenn der Beschwerdeführer zum Fristerfordernis vorbringt, die Zustellung des angefochtenen Beschlusses an seinen früheren amtlichen Verteidiger am 26. Juni 2024 "zeigte jedoch keinerlei fristauslösende Wirkung" bzw. er (der Beschwerdeführer) habe erst am 3. Februar 2025 "in rechtswirksamer Weise" vom angefochtenen Beschluss Kenntnis erhalten, weshalb die Beschwerdefrist erst dann zu laufen begonnen habe, und diesen späteren Fristbeginn mit einer ungenügenden amtlichen Verteidigung begründet, zielt er der Sache nach auf eine Wiederherstellung der Beschwerdefrist ab. Seine entsprechenden Vorbringen sind im Folgenden daher unter diesem Gesichtspunkt zu prüfen.
4.
4.1. Gemäss Art. 50 Abs. 1 BGG wird eine versäumte Frist wiederhergestellt, wenn die betroffene Partei nachweist, dass sie oder ihr Vertreter durch ein unverschuldetes Hindernis abgehalten worden ist, innerhalb der Frist zu handeln, und binnen 30 Tagen nach Wegfall des Hindernisses die Wiederherstellung verlangt und die versäumte Rechtshandlung nachholt.
Ein unverschuldetes Hindernis im Sinne dieser Bestimmung kann nur angenommen werden, wenn der Partei kein Vorwurf gemacht werden kann (vgl. BGE 143 I 284 E. 1.3; 112 V 255 E. 2a; Urteil 6B_174/2023 vom 26. April 2023 E. 3.2 mit Hinweis). Nach der Rechtsprechung kann die Wiederherstellung nur bei klarer Schuldlosigkeit gewährt werden. Jedes Verschulden einer Partei, ihres Vertreters oder beigezogener Hilfspersonen, so geringfügig es sein mag, schliesst die Wiederherstellung aus. Es gilt ein strenger Massstab (statt vieler Urteile 6B_305/2024 vom 25. April 2024 E. 3.1; 6B_1480/2022 vom 13. Januar 2023 E. 3.1; 6B_774/2021 vom 3. November 2021 E. 1.3; je mit Hinweisen).
4.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe vom Inhalt des angefochtenen Beschlusses erst anlässlich der Akteneinsicht vom 3. Februar 2025 Kenntnis erhalten, zu der es gekommen sei, weil er am 22. Januar 2025 verhaftet worden sei und daraufhin seinen heutigen Rechtsvertreter mandatiert habe. Dass ihm der angefochtene Beschluss nicht bereits vorher bekannt war, führt er auf ein generelles Ungenügen und mitunter gar strafrechtlich relevantes Fehlverhalten seines früheren amtlichen Verteidigers zurück. Unter dem Titel des Fristerfordernisses führt er dazu aus, sein früherer amtlicher Verteidiger habe sich als solcher einsetzen lassen, jedoch zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens seine Parteirechte wahrgenommen, mit Ausnahme zweier Akteneinsichten und einer wenig sinnvollen Beschwerde gegen einen Beschlagnahmebefehl. Der Beschwerdeführer kritisiert, dass sich sein damaliger amtlicher Verteidiger im Haftverfahren nur minimal geäussert habe und die Haftentlassung ohne sein Zutun erfolgt sei, er an der erstinstanzlichen Hauptverhandlung nicht plädiert, sondern sich in seinen rund viereinhalb minütigen Ausführungen auf die Darlegung beschränkt habe, er könne ohne Instruktion nicht plädieren, und dass sich sein Tätigwerden vor der Vorinstanz - in dem von ihm (dem Beschwerdeführer) selbständig eingeleiteten Berufungsverfahren - seinerseits darin erschöpft habe, der Vorinstanz auf ihre Nachfrage hin und in Verletzung des Anwaltsgeheimnisses mitzuteilen, der letzte Kontakt mit ihm (dem Beschwerdeführer) habe am 14. November 2022 stattgefunden und er (der amtliche Verteidiger) habe daneben unzählige erfolglose Kontaktversuche unternommen, letztmals am 25. Oktober 2023. Der Beschwerdeführer verweist ergänzend auf seine materiellen Ausführungen in seiner Beschwerde, wo er die betreffenden Geschehnisse detaillierter erläutert und die geltend gemachte Verletzung der Garantie einer wirksamen Verteidigung begründet.
4.3. Das Verhältnis des Beschwerdeführers zu seinem früheren amtlichen Verteidiger und die Frage der wirksamen Verteidigung brauchen hier nicht erschöpfend beurteilt zu werden. Als entscheidend erweist sich, dass der Beschwerdeführer gemäss den von der Vorinstanz dargestellten und von ihm nicht bemängelten Gegebenheiten die Möglichkeit gehabt hätte, mit dem ihm bestellten amtlichen Verteidiger Kontakt zu halten. Es steht ausser Frage, dass der Beschwerdeführer wusste, wer sein amtlicher Verteidiger war. Selbst wenn das gegenseitige Vertrauensverhältnis zerrüttet gewesen und dies auf ein Fehlverhalten des amtlichen Verteidigers zurückzuführen wäre, wie der Beschwerdeführer der Meinung ist, hätte er es in der Hand gehabt, Kenntnis vom Gang des Berufungsverfahrens via seinen amtlichen Verteidiger zu erhalten. Insbesondere angesichts der an ihn gerichteten E-Mail des amtlichen Verteidigers vom 25. Oktober 2023, mit der Letzterer ihn über den von der Vorinstanz in Aussicht gestellten abschlägigen Berufungsentscheid informierte (vgl. angefochtener Beschluss E. I.3.2 S. 13 in fine), wäre es für den Beschwerdeführer nahegelegen, sich mit Blick auf den Ausgang des Berufungsverfahrens an den amtlichen Verteidiger zu wenden. Gründe, aufgrund derer eine solche Kontaktaufnahme bzw. eine Beantwortung des Kontaktaufnahmeversuchs des amtlichen Verteidigers ausser Betracht gefallen wäre, sind in der Beschwerde nicht angeführt. Namentlich rügt der Beschwerdeführer nicht, eine Kommunikation mit dem amtlichen Verteidiger sei nicht möglich gewesen, sondern er erwähnt nur, er habe (unter anderem) dahingehende Kritik im kantonalen Verfahren schon erhoben. Die fragliche Kritik erneuert und substanziiert er vor Bundesgericht indes nicht. Für eine solche Kritik bzw. die Annahme, der amtliche Verteidiger habe die Kommunikation verweigert und der Beschwerdeführer habe daher von ihm nichts in Erfahrung bringen können, fehlt es denn auch an der Grundlage angesichts des aus dem angefochtenen Beschluss hervorgehenden, vom Beschwerdeführer nicht in Abrede gestellten Prozesssachverhalts. Diesem ist zu entnehmen, dass der amtliche Verteidiger sowohl im erst- als auch zweitinstanzlichen Gerichtsverfahren diverse Male versucht hat, mit dem Beschwerdeführer in Kontakt zu treten, und es der Beschwerdeführer war, der darauf nicht reagiert und sich insoweit seinem amtlichen Verteidiger verweigert hat (vgl. angefochtener Beschluss E. I.3.1 f. S. 10-12).
Der Beschwerdeführer kann unter diesen Umständen nicht für sich beanspruchen, unverschuldet ausser Stande gewesen zu sein, gegen den angefochtenen Beschluss vom 22. April 2024 fristgerecht Beschwerde vor Bundesgericht einzureichen. Die verspätete Beschwerdeerhebung hat er vielmehr sich selbst bzw. seiner verweigernden Haltung gegenüber seinem amtlichen Verteidiger zuzuschreiben. Für eine Wiederherstellung der Beschwerdefrist besteht damit kein Raum.
5.
Auf die Beschwerde ist infolge Verspätung im Verfahren nach Art. 108 BGG nicht einzutreten. Ausgangsgemäss sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Die Gesuche um aufschiebende Wirkung und Fristansetzung für eine allfällige Replik werden mit dem vorliegenden Nichteintretensentscheid gegenstandslos.
Demnach erkennt das präsidierende Mitglied:
1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 18. März 2025
Im Namen der I. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Muschietti
Der Gerichtsschreiber: Boller